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Wozu noch ein Gewissen, wir haben ja Juristen
Es gibt niemals einen guten Krieg oder einen schlechten Frieden! - Benjamin Franklin
Sie erinnern sich vielleicht noch an die Diskussion bei uns nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Der damalige Verteidigungsminister Jung hatte erklärt, dass er den Piloten der Luftwaffe Anweisung geben würde, einen entführten Airliner abzuschießen, wenn dadurch ein Attentat verhindert werden könnte, dass noch viel mehr Menschenleben kosten würde, als sich an Bord des Unglücksflugzeugs befänden. Das Bundesverfassungsgericht hat dann in einem Grundsatzurteil dieser Absicht einen Riegel vorgeschoben. Der Staat hat nicht das Recht, auch nur ein einziges unschuldiges Menschenleben zu nehmen. Damit würde er gegen die Würde des Menschen verstoßen, denn der darf nicht zum Zweck gemacht werden, egal zu welchem. Herr Jung hat nach dem Urteil, was er natürlich anerkannt hat, noch nachgelegt. Im Krieg sei eine Abwägung, wie er sie gemacht hat, legal. Es sei ein Akt der Selbstverteidigung. Wenn Terroristen ein Passagierflugzeug entführten, um es als Bombe zu benutzen, sei das ein Angriff auf die Bundesrepublik Deutschland.
Genauso rechtfertigt die US-Regierung bis heute ihren „War on Terror“. Juristen liefern dafür die Begründung. Die Attentate des 11. Septembers wurden zu einem Angriff auf die Vereinigten Staaten erklärt. Man berief sich auf den Artikel 51 der UN-Charta, der jedem Land militärische Selbstverteidigung zubilligt, wenn angegriffen. Mit diesem juristischen Winkelzug wurde aus dem „War on Terror“ ein Selbstverteidigungskrieg, in dem alle Militäraktionen, von den Drohnenexekutionen in Asien und Afrika, den Luftkriegen gegen das Afghanistan der Taliban und auf der arabischen Halbinsel bis hin zu den „erweiterten Verhörtechniken“ (man nennt es eigentlich Folter) im Gefangenenlager von Guantanamo Bay, für legal erklärt werden. Auch Kollateralschäden, zivile Opfer, die bei Luftkriegsoperationen unvermeidlich sind, konnte man durch den ausgerufenen Kriegszustand juristisch rechtfertigen. Das Kriegsvölkerrecht liefert hierzu die entsprechende Legalität. In einer Dienstvorschrift der Bundeswehr ist es übernommen worden. Es wird dort als „Humanitäres Völkerrecht in bewaffneten Konflikten“ betitelt. Was für ein Hohn! – Ich benutze ganz bewusst diese starken Worte. Sie werden sie verstehen, wenn ich Ihnen ein Beispiel dazu erzähle. Es wirft nicht nur ein bezeichnendes Bild auf die Rolle von Juristen im Krieg, sondern auch auf die Medien, die unter Bezugnahme auf internationales Recht Kriege rechtfertigen, wie jetzt gerade wieder im Ukraine-Konflikt. Dazu folgendes Erlebnis.
Vor einigen Jahren war ich als Militär-Experte zu der Talkshow „Hart aber Fair“ eingeladen. Zu den Diskutanten gehörte auch Herr Julian Reichelt, damals noch Chefredakteur bei BILD. Das Thema war der Krieg in Syrien. Herr Reichelt wartete mit Bildern von toten Kindern auf, die beweisen sollten, dass der Diktator Assad Giftgas gegen die eigene Bevölkerung einsetzt. Herr Reichelt forderte, dass der Westen in Syrien militärisch eingreifen sollte. Ich gab zu bedenken, dass auch unsere Bomben Unschuldige töten würden, eben auch Kinder. Dazu schilderte ich den Ablauf der Zieleplanung in einem Air Operations Center (in einem solchen hatte ich einige Jahre als Planer Dienst getan) und dabei die Rolle der sogenannten Legal Advisor (LEGAD), also Juristen. In der NATO-Vorschrift, die eine Kopie der entsprechenden US-amerikanischen ist, werden dieser Prozess und die Aufgaben des LEGAD beschrieben. Sie gibt vor, was ein militärisches Ziel ist und wieviel Kollateralschäden akzeptabel sind.
In der NATO-Vorschrift heißt es sinngemäß, dass zivile Opfer auf jeden Fall zu vermeiden sind. Sollte beim Einsatz gegen das Ziel Kollateralschäden zu erwarten sein, ist abzuwägen, ob die militärische Wichtigkeit des Zieles die zu erwartenden Zivilopfer rechtfertigt. Bei dieser Abwägung berät der LEGAD den militärischen Commander. Entscheidet sich der trotz der zu erwartenden zivilen Opfer für den Bombenangriff, kann er sich auf den Rat des Juristen berufen. – Bei der Erklärung dieses Sachverhalts wurde ich immer wieder von Herrn Reichelt unterbrochen. Er beschimpfte mich und erklärte mich für inkompetent. Seine Angriffe wurden am nächsten Tag von der Springer-Presse aufgegriffen und fortgeführt. Nirgendwo in den Medien hatte man sich um einen Facts-Check bemüht. Den möchte ich bei dieser Gelegenheit nachreichen. Wer der englischen Sprache mächtig ist, mag in der NATO-Vorschrift zu diesem Thema auf Seite I-23 Legal Considerations nachlesen. Er wird meine Ausführungen bestätigt finden und die Überschrift dieses Artikels vielleicht verstehen. Wozu noch ein Gewissen, wir haben ja Juristen.
Mir liegt es fern, Soldaten und deren Vorgesetzte zu unterstellen, sie hätten kein Gewissen. Es gibt genügend Beispiele aus der Kriegsgeschichte, in denen sie Menschlichkeit über den militärischen Auftrag gestellt haben. Diejenigen, die ihren militärischen Auftrag voranstellten, ist auch kein Vorwurf zu machen. Es gibt keinen humanen Krieg, auch wenn entsprechende Gesetze, die von Kriegsvölker-Rechtlern aufgesetzt wurden, es uns suggerieren wollen. Die Täter sind die Politiker, die meinen, es gäbe einen gerechten Krieg und von Juristen darin bestätigt werden. Die Täter sind aber auch Redakteure, die diesen Politikern das Wort reden und sich auf Rechtspositionen beziehen. Sie erzeugen erst die Zustimmung in der Bevölkerung, ohne die eine aktive Unterstützung des Krieges in der Ukraine nur schwer möglich wäre. Politiker wollen ja wiedergewählt werden, und erfolgreiche Redakteure werden an hohen Einschaltquoten und Klicks-Maximierung bemessen. Da schlägt ein Krieg vor der Haustür jede Reality-Show. Was ich bei den Tätern vermisse, ist ein Gewissen. Hätten sie eins, wäre dieser unsägliche Krieg schon längst beendet worden und die Kriegsparteien säßen bedingungslos am Verhandlungstisch. Den Kritikern meiner Denkweise möchte ich mit Benjamin Franklin antworten. Einer der Gründerväter der USA sagte einmal: Es gibt niemals einen guten Krieg oder einen schlechten Frieden! Weil Krieg niemals gut und Frieden niemals schlecht ist!