Der Fraktionsvorsitzende der AfD im Bundestag, Herr Chrupalla, wurde in einer Talkshow gefragt, ob er Putin für einen Kriegsverbrecher halte. Die Falle, die ihm gestellt wurde, war offensichtlich. Antwortete er JA, würde er sein Verständnis für russische Sicherheitsbedenken zu einem NATO-Beitritt der Ukraine in Frage stellen. Antwortete er mit NEIN, könnte man ihm unterstellen, dass er auf der Seite „des Bösen“ Position bezieht und dessen Untaten gutheißt. Trotz der Beharrlichkeit der Moderatorin, eine JA/NEIN Antwort zu bekommen, entschlüpfte Herr Chrupalla der Falle und gab eine „SOWOHL/ALS AUCH Antwort. Er sagte es nicht so deutlich, wie ich jetzt. Sie sind ALLE des Verbrechens schuldig, Krieg zu führen. Putin, Selenskyj, Biden, Scholz und wie die Manager der europäischen Sicherheit sonst noch heißen. Wer, nach den Erfahrungen zweier Weltkriege mit Millionen von Toten, schon wieder bereit ist, mit Krieg politische Ziele zu verfolgen, ist bereit, Menschen zu opfern. Das ist ein Verbrechen. Sie werden es erkennen, wenn Sie sich von den Plattitüden der stattfindenden Information Operations (Gut/Böse, Demokratie/Diktatur usw) lösen und stattdessen Fragen stellen. Welche Fragen sagt uns der Text des wunderbaren Kinderliedes aus der Sesamstraße. „Der, die, das, wer, wie, was, wieso, weshalb, warum, wer nicht fragt bleibt dumm.“ – In Vorbereitung auf einen Krieg tut ein militärischer Planungsstab nichts anderes. Dessen Fragestellungen, die im Folgenden vorgestellt werden sollen, werden Ihnen helfen “zu sehen”.
Der Planungsprozess beginnt mit einer Lagefeststellung. Der Konflikt wird beschrieben, die Historie beleuchtet, das eigene politische Ziel erklärt und daraus das militärische Ziel abgeleitet. Dann beschäftigt man sich mit dem Gegner. Wer ist er, was ist seine Absicht, welche militärischen Fähigkeiten hat er, und wie geht er vor? - Demgegenüber werden die eigenen Fähigkeiten untersucht und Vorgehensweisen abgeleitet. Das Ganze ist ein nüchterner Prozess, der der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Was die wissen soll, wird in dem parallel stattfindenden Information Operations Planungsprozess entschieden.
Information Operations haben zum Ziel, den Gegner in seinem Denken zu manipulieren und, was in einer demokratischen Gesellschaft besonders wichtig ist, die eigene Öffentlichkeit so zu beeinflussen, dass sie den Krieg als alternativlos versteht und ihn will. Man kann feststellen, dass auf diesem Gebiet der Kriegsführung die Ukraine und ihre westlichen Verbündeten bisher sehr erfolgreich waren. Putin wird als irrationaler Diktator mit großrussischen Ambitionen angesehen, der sich jetzt die Ukraine einverleiben will, um dann die baltischen Länder und Polen zu bedrohen. Als nächstes sei zu befürchten, dass er es auch auf die militärische Eroberung Europas abgesehen hat. Diese Annahmen erweisen sich als Plattitüden, werden sie doch durch die Fakten einer professionellen Planung widerlegt. Die Blaupause einer solchen Planung stammt von den Amerikanern und wurde zum ersten Mal in den Golfkriegen gegen den Irak 1991 und 2003 erfolgreich angewandt. NATO und nicht NATO-Staaten (auch Russland) haben sie inzwischen übernommen.
Das Endprodukt des Planungsprozesses ist die Operations-Order, der Einsatzbefehl. Der hat eine standardisierte Gliederung und beginnt mit der Deployment-Phase (Aufmarsch-Phase). Die vorgesehen Kräfte werden in ihre Ausgangspositionen verlegt und üben in Manövern das gemeinsame Operieren. Show of Force nennt man das im NATO-Jargon. Man will dem Gegner zeigen, dass man es ernst meint. - Genau das haben die Russen vor dem Einmarsch gemacht, als in den Verhandlungen klar wurde, dass der Westen ihre vitalen Sicherheitsinteressen Ignorieren würde und auf seiner Maximalposition, die Ukraine wird NATO-Mitglied, beharrte. Der Aufmarsch sollte gesehen werden, was für die Amerikaner mit ihren perfekten Aufklärungsmöglichkeiten (Satelliten) ein Leichtes war. Damit ist eine weitere Plattitüde der Information Operations entlarvt. Der Einmarsch in die Ukraine war kein heimtückischer Überfall, wie Politiker und Journalisten bei uns immer wieder gebetsmühlenartig behaupten. Die ukrainische Regierung und Unterstützer im Westen wussten, dass der Einmarsch kommt. Und dennoch wurden amerikanische Militär- und Geheimdienstexperten in einem Punkt überrascht.
Die Employment-Phase (Einsatzphase) beginnt normalerweise mit umfassenden Luftkriegsoperationen, in denen vor Beginn von Landkriegsoperationen über dem Einsatzgebiet Luftüberlegenheit sichergestellt und die Kommunikation zwischen Führung und Armee des Gegners lahmgelegt werden sollen. Die Russen haben zu Beginn solche Einsätze durchgeführt aber auf einen klassischen Luftkrieg verzichtet, obwohl sie die Fähigkeiten dazu hatten. Warum? - Die Antwort weist auf die Absicht der russischen Regierung hin, die Putin immer wieder erklärt hat. Es galt, die ukrainische Regierung zu Verhandlungen zu zwingen. Die begrenzten russischen Landkriegsoperationen bestätigen diese Absicht. Die Eroberung der Ukraine konnte es nicht sein, wie man uns immer wieder glauben machen will. Damit wird auch hier eine Plattitüde westlicher Information Operations entlarvt. Ein professioneller Kriegsplaner wird auf die wahre Absicht kommen, wenn er die Doktrin der russischen Operationen hinterfragt. Sie basiert, ähnlich der im Westen, auf der Lehre des preußischen Militärphilosophen Clausewitz.
Um das politische Ziel Verhandlungen zu erreichen, musste man die ukrainische Regierung an ihrem Schwerpunkt, aus dem sie ihre Kraft schöpft, aushebeln. Der Schwerpunkt wurde als die ukrainische Armee erkannt. Wenn man die so weit schwächt, dass deren geplanten Ziele (Sieg übe die russischen Streitkräfte und Befreiung der besetzten Gebiete) nicht erreicht werden können, dann muss Zelensky verhandeln. Über zwei Jahre Krieg haben gezeigt, dass sie, trotz massiver Unterstützung aus dem Westen, illusorisch sind.
Um gegen die russischen Invasoren erfolgreich vorzugehen, brauchen die Ukrainer Luftüberlegenheit über dem Einsatzgebiet und Handlungsfreiheit am Boden. Dazu müsste die ukrainische Luftwaffe Tag für Tag, 24 Stunden massive Luftkriegsoperationen gegen kriegswichtige Ziele (Flugplätze, Nachschubbasen, Führungseinrichtungen, Reserven u.v.m.) im russischen Hinterland durchführen. Diese Fähigkeit haben sie nicht. Was bleibt, ist das tägliche Anrennen gegen die Verteidigungs-Phalanx der Russen in der Ostukraine. Das kostet Ressourcen, Menschenleben und macht kriegsmüde. Die Russen werden über kurz oder lang ihr militärisches Ziel erreichen. Sein Schwert abgestumpft wird Herrn Selensky zwingen, an den Verhandlungstisch kommen. Es wird Kompromisse geben. Eine Einigung muss friedensfähig sein. Genau das hätte man in den Verhandlungen vor dem Einmarsch auch haben können. Es mussten erst Hundertausende Soldaten auf beiden Seiten sterben, um (wieder einmal) zu dieser Einsicht zu kommen. In diesem Sinne ist Krieg nicht nur dumm, sondern ein Verbrechen, dessen sich Herr Putin aber genauso die Verantwortlichen in der Ukraine und im Westen schuldig gemacht haben.Das moralische und juristische Verweisen auf Kriegsverbrechen der anderen Seite ist in diesem Sinne Heuchelei. Information Operations vom Feinsten. Jeder Krieg zieht Kriegsverbrechen nach sich. Wenn Menschen dieser unvorstellbaren Gewaltanwendung ausgesetzt sind, dann übernehmen allzu oft Angst, Hass und Rachegefühle das Handeln der Akteure. Ohne das eigentliche Verbrechen, Krieg, gäbe es keine Kriegsverbrechen.
Wenn wir nicht wollen, dass unsere Regierungsverantwortlichen zu Krieg-Verbrechern werden, dann müssen wir lernen, in Konflikten Information Operations zu erkennen. Der Schlüssel dazu ist das richtige Fragen stellen. „Wer, wie, was, wieso, weshalb, warum“. Dann ist Empathie mit dem Konfliktgegner (und mit sich selbst) möglich. Der erste Schritt zu einer friedlichen Lösung. Hier liegt die Verantwortung der Medien, eines jeden kritischen Bürgers und, nicht zu vergessen, der Militärs, wenn sie der Politik Rat geben. Sie sollten wissen, was und wie man fragt.
Die letzte Ursache
Das Verhalten der Protagonisten in diesem Artikel (Politiker, Militärs, Journalisten und Bürger) weist auf ein universelles Thema hin. Menschenführung.In meinem neuesten Buch zeige ich an kleinen Geschichten, dass sie in ihren Ausprägungen zu einem Stiefkind in unserer Leistungsgesellschaft geworden ist.Wenn sie es lesen, werden Sie vielleicht verstehen, warum Menschen sich heute so verhalten, wie sie sich verhalten.