Quereinsteiger – Keine Notlösung sondern Chance
Unsere Kinder brauchen Liebe und Lebenserfahrung und nicht studierte Lehrer
Es vergeht kein Tag, in dem nicht der Lehrermangel an unseren Schulen beklagt wird. Die politisch Verantwortlichen werden nicht müde, um organisatorische Lösungen anzubieten. Eine Lösung ist die, sogenannte Quereinsteiger zum Schuldienst zuzulassen. Da das Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland Ländersache ist, haben Bundesländer Vorschriften erlassen, die die Zulassung von Bewerbungen zum Schuldienst ohne entsprechende universitäre Voraussetzungen regelt. Sie orientiert sich an Qualifikationen, die scheinbar Kompetenzen suggerieren, aber an der Wirklichkeit des Schulalltags vorbei gehen. Nicht Fachlichkeit ist das Entscheidende, sondern die Fähigkeit, Kindern Lust zum Lernen zu machen. Die lernt man nicht an Universitäten, sondern durch Erfahrungen, die Quereinsteiger durch ihr berufliches und privates Leben beisteuern könnten.
Worauf es ankommt, hat der chilenische Neuro-Biologe und Philosoph Maturana in seiner „ästhetischen Verführung“ deutlich gemacht. Ihm ging es um die Fragen: Wieviel Lernen ist möglich, wenn der Mensch nicht lernen will, und weiter gefragt, was kann man tun, damit Menschen lernen wollen? – Seine Prämissen, die er sogar als Menschenrechte des Lernens gefordert hat, laden gerade dazu ein, Quereinsteiger in unser Bildungssystem zuzulassen. Denn sie spiegeln die Wirklichkeit einer Leistungsgesellschaft, die ohne das Prinzip Liebe verloren ist. Sein Credo: Zum Lernen verführen ist ethisch! Hier kommt die Geschichte:
Der chilenische Professor für Biologie und Philosoph Umberto Maturana hat diese drei Rechte unter dem Begriff „Ästhetische Verführung“ formuliert und sie seinen Studenten als Grundrechte des Lernens zugestanden. Stellen Sie sich vor, man würde sie in unserem Bildungssystem zu Grundrechten erklären. Undenkbar werden Sie sagen. Das Einhalten von Lehrplänen, Notengebung und Selektion…wie soll das gehen? –
Maturana ist aber kein spinnerter Professor, sondern ein ernst zu nehmender Wissenschaftler. Pädagogen wissen es schon längst. Unser Schulsystem basiert auf einer veralteten Lern-Philosophie, die im Widerspruch zu den Erkenntnissen der Neurobiologie und Hirnforschung steht. Unser Gehirn ist nicht auf Auswendiglernen optimiert, sondern auf Probleme lösen. Wissen wird nicht vermittelt, sondern durch den Lernenden konstruiert. Der Lehrer unterstützt den Lernenden beim Konstruieren, dem Verknüpfen von alten und neuen Informationen in ganzheitliche, nachvollziehbare und funktionierende Zusammenhänge. - Beim Verknüpfen ist Fehlermachen eine Schlüsselquelle für Erfahrungen und daher ein wichtiger Wegweiser. Wer keine Angst davor hat, Fehler zu machen, der traut sich, auch immer wieder neue Wege zu gehen! Damit erhöht sich die Anzahl der Möglichkeiten. – Lernen entsteht durch das fortwährende Hinzufügen von neuen Informationen. Das wiederum kann zu neuen Wissenskonstruktionen führen. Die alten loszulassen und die neuen anzunehmen ist ein wichtiger Teil von Lernen. Wer sich nicht scheut, seine Meinung zu ändern, zeigt dass er lernfähig ist! – Der Lehrer unterstützt das Lernen, in dem er es fachlich und methodisch begleitet, vor allem aber, in dem er die Lernenden motiviert. Ohne Freude und Lust ist Lernen nicht möglich. Daher ist der 3. Satz in den Grundrechten des Lernens so wichtig. Wer bleibt, obwohl er gehen könnte, bleibt aus freien Stücken, will lernen! –
Alle diese Erkenntnisse bleiben auf der Strecke, solange wir das erfolgreiche Lehrersein mit universitären Pflichttoren verknüpfen. Was Kinder brauchen, um zu lernen und in ihrem sozialen Umfeld oft vermissen, sind nicht studierte Lehrer sondern liebevolle Beziehungen. Quereinsteiger-Lehrer könnten hier das „Missing-Link“ sein, um unser Schulsystem endlich dem Klientel gerecht zu werden, das doch als unsere Zukunft immer wieder beschworen wird.
Die Lehrerausbildung heute fokussiert auf Fachwissen, Methodensicherheit bei dessen Vermittlung und Erfüllung des Lehrplanes. Das eigentliche Problem, junge Menschen Lust aufs Lernen zu machen, bleibt auf der Strecke. Das Wissen um die vielbeschworenen Softskills, die natürlich auch zum Studium gehören, suggeriert Methodensicherheit und kommt bei der Begegnung mit „garstigen“ Kindern an ihre Grenzen. Das System reagiert mit Reparaturmaßnahmen wie Schulpsychologen und Schulbegleitern. Sie arbeiten an den Symptomen, die vordergründig doch nur Dressurmaßnahmen sein können. Die funktionieren manchmal, lösen aber nicht das eigentliche Problem. Die weitverbreitete Unlust der Kinder, zur Schule zu gehen. Gute Lehrer sehen das, bemühen sich um liebevolle Beziehungen zu ihren Schülern und sind erfolgreich.
Ich habe (als Quereinsteiger) meinen Schülern die Prinzipien von Maturana vorgestellt. Sie waren begeistert. Schule zu schwänzen, wann immer sie wollen, war für sie sehr attraktiv. In der Folgediskussion kamen dann zweite Gedanken. Sie wollten trotzdem zur Schule gehen. Mit ihren Mitschülern Zeit zu verbringen, war ihnen wichtig. Ein anderes Argument war bemerkenswert. Sie wollten das Zusammensein mit bestimmten Lehrern nicht missen. Bei ihnen fühlten sie sich angenommen, und das Lernen machte Spaß. Hier sehe ich die große Chance für ein System der Quereinsteiger. Sie könnten den Lehremangel in Quantität und Qualität in kürzester Zeit lösen, wenn man sich auf das Wesentliche konzentriert.
Die Sorge der Systemträger, dass die universitären Voraussetzungen für eine Lehrertätigkeit nicht erfüllt werden, lässt sich leicht lösen, in dem man die Einstellung der örtlichen Schulleitung überlässt. Das persönliche Gespräch mit dem Bewerber und adhoc Lehrproben könnten leicht die Qualifikation eines Bewerbers für eine Lehrtätigkeit feststellen. Das entscheidende Kriterium ist die liebevolle Einstellung zu Kindern. Ein Quereinsteiger, der dieses Kriterium erfüllt, wäre nicht nur ein Gewinn für die Kinder, sondern könnte auch in einer befruchtenden Beziehung mit der etablierten Lehrerschaft wirken. Wir haben in unserer Gesellschaft so viele lebens- und berufserfahrene Menschen. Wäre es nicht eine große Verschwendung, wenn wir sie nicht bei der Erziehung und Bildung unserer jungen nutzen würden?