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NATO – No Action Talk Only
Im Krieg hat jede Regierung zwei Feinde – Den Gegner und das eigene Volk
Sie werden sich fragen, was der Titel dieses Artikels mit dem Untertitel zu tun hat. Ich gebe Ihnen die Antwort vorneweg, in den „Bottom Lines“, wie man im Angelsächsischen sagt.
1. Die europäischen NATO-Staaten sind unfähig, ohne amerikanische Führung und militärische Fähigkeiten Krieg zu führen.
2. Die USA haben kein Interesse daran, unter der Flagge der NATO Krieg zu führen. Sie müssten ihre Ziele und Kriegs-Operationen europäischen Interessen und Uneinigkeiten unterwerfen.
3. US-Amerikanische Regierungen brauchen die NATO, um vor der eigenen Bevölkerung Krieg zu legitimieren.
Die Politik der westlichen Staaten in der Ukraine-Krise und die Aufregung und Ängste, die sie immer wieder in der Öffentlichkeit hervorruft, veranlassen mich, mit ein paar Fakten zu nüchternem Denken beizutragen. Alle drei „Bottom Lines“ können aus der jüngsten Kriegs-Geschichte (nach 1990) abgeleitet werden. Die Authentizität meiner Bewertungen mögen Sie daran bemessen, dass ich jahrelang als NATO-Planer gearbeitet habe und Absolvent der US-Generalstabsausbildung am Air War College der US-Air Force bin. Genug der Vorrede. Ich möchte mit einer aktuellen Meldung beginnen.
Finnland und Schweden haben bei der NATO-Mitgliedschaft beantragt. In NATO-Kreisen wird das als eine Stärkung des Bündnisses gefeiert. Macht diese Mitgliedschaft die NATO stärker? – Ich glaube nicht. Das Gegenteil ist der Fall. Mit diesen beiden Ländern wächst die Mitgliederzahl von 30 auf 32. Damit wird die Entscheidungsfähigkeit des Nord Atlantik Rates, dem höchsten politischen Gremiums, noch weiter gelähmt. Eine Entscheidung zu einem militärischen Einsatzmuss nämlich einstimmig beschlossen werden. Gerade die beiden neuen Mitglieder, die bisher immer eine neutrale Haltung im Spiel der Großmächte eingenommen haben, werden für die „alten Atlantiker“, wie die USA, Kanada, Großbritannien, die Benelux-Staaten und auch Deutschland, unbequeme Partner sein. Damit ist jede einstimmige Entscheidung, in den Krieg zu ziehen, so gut wie unmöglich. Als Beispiel möchte ich den Krieg gegen Saddam Husseins Irak 2003 ins Feld führen. Damals haben sich europäische NATO-Staaten (darunter auch Deutschland unter seinem Kanzler Gerhard Schröder) geweigert, dem Kriegsruf des US-Präsidenten George W. Bush zu folgen. Die USA sind daraufhin in eigener Regie mit einer Koalition der Willigen (darunter auch NATO-Staaten) in den Irak einmarschiert. Sie brauchen die Europäer als Kriegsverbündete. Es ist nicht wegen deren militärische Stärke. Die bleibt auch nach neuen Beitritten illusorisch. Wofür sie sie brauchen, erklärt die „3. Bottom Line“. Davon mehr zum Schluss.
Die militärische Stärke der NATO bleibt für mich illusorisch, weil das Bündnis ohne die USA schon immer ein Papiertiger war, um einen Ausdruck des früheren kommunistischen Führers Chinas, Mao Tse tung, zu benutzen. Truppenstärken, Anzahl von Panzern, Flugzeugen und Kriegsschiffen sind noch kein Merkmal militärischer Stärke. Ein Papiertiger kommt wortreich und Furcht einflößend daher, erweist sich aber als unfähig, wenn er kämpfen soll. Als Beispiel seien die Balkankriege der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts genannt.
Die Europäer zeigten sich als militärisch (und damit auch politisch) unfähig, den Bürgerkrieg im auseinanderfallenden Jugoslawien zu stoppen und den Aggressionen des Serbenführers Milosevic im Kosovo Einhalt zu gebieten. Erst als die USA die Führung übernahmen, vermochte die NATO mit einem Luftkrieg gegen Jugoslawien den Balkan zu befrieden. Die Fähigkeiten, die die Amerikaner mitbrachten und die die Europäer nicht hatten, bezogen sich aber nicht nur auf das Taktische, wie Luftbetankung, Präzisionsbomben und Aufklärung, sondern insbesondere auch auf Führung (Einheitlichkeit von Planungsverfahren und Befehlsgebung usw) und auf Führungsmittel (Satelliten und Vernetzung). Trotz des Versprechens der Europäer, ihre Fähigkeiten zu verbessern, ist die Umsetzung Stückwerk geblieben. Hier liegt ein Grund dafür, warum die USA es nach 1999 vermieden haben, unter der NATO-Flagge in militärische Operationen zu gehen. Es gibt aber noch einen anderen Grund, der im NATO-Luftkrieg offensichtlich wurde. Der liegt in unterschiedlichen Auffassungen, was im Krieg ist erlaubt ist, also im Ethischen, wie folgende Ereignisse belegen.
Über die Ziele-Liste, die im NATO-Hauptquartier im italienischen Vicenza für den täglichen Einsatz der Kampfflugzeuge erstellt wurde, kam es bald zu einem Dissens. US-Planer hatten den Serbenführer Milosevic persönlich als Ziel draufgesetzt. Zivil-Personen als militärisches Ziel anzugreifen, widersprach der Auffassung einiger europäischer NATO-Länder, dass das unethisch sei und gegen die Gesetze des Krieges verstoße. Als Konsequenz gab es dann im Planungshauptquartier zwei Ziele-Listen, eine US-amerikanische und eine „andere“. Diesen Sachverhalt werden Sie in offiziellen Annalen nicht lesen können. Ein norwegischer NATO-Planer, der damals in Vicenza Dienst tat, hat mir später davon erzählt. Dieses „Problem“ haben die USA dahingehend gelöst, dass sie nur noch mit Koalitionen in den Krieg ziehen. Dann haben sie allein das Sagen. Koalitionspartner können den Einsatz ihrer Flugzeuge gegen ein Ziel verweigern, bei der Ziele-Liste haben sie jedoch kein Mitsprache-Recht. Die US-amerikanische Auffassung, dass auch Zivil-Personen zum Ziel eines Bombenangriffs gemacht werden können, hatte später im Krieg gegen den Irak (2003) eine tragische Konsequenz. Saddam Hussein war auf dieser Liste ganz oben. Durch BND Informanten (Bundes Nachrichten Dienst) erfuhren die Amerikaner von einem Treffen Saddam Husseins mit seinen Beratern in einem Restaurant in Bagdad. Zur ausgemachten Uhrzeit wurde „das Ziel“ von Kampfflugzeugen mit 2000 lbs Bomben (ca. 900 Kg) angegriffen. Das Restaurant wurde in Schutt und Asche gelegt. Unter den Trümmern lagen anwesende Gäste und Bedienstete. Der Diktator selbst blieb verschont. Er und seine Leute hatten das Restaurant vorzeitig verlassen. Rechtsberater im Planungsprozess hatten den Angriff einschließlich der zu erwartenden Kollateralschäden für legal erklärt. Wozu ein Gewissen? - Es gibt ja Juristen. – Der seit Jahren andauernde Drohnenkrieg der USA in Asien und Afrika (Stichwort: War on Terror) folgt den gleichen „ethischen“ Grundsätzen, genauso, wie 20 Jahre lang der Krieg in Afghanistan. - Das war doch ein NATO-Krieg, meinen Sie? – War er nicht! –
Parallel zum NATO-Hauptquartier ISAF gab es in Afghanistan ein US-amerikanisches Militär-Hauptquartier. Das hatte alle militärischen Fähigkeiten der Supermacht zur Verfügung. Dort war die gesamte Führungsverantwortung für den Krieg gegen die Taliban. Die NATO mit ihren nationalen Kontingenten dienten den Amerikanern in erster Linie als Alibi gegenüber der eigenen Bevölkerung. Die Europäer machen mit, also muss es eine gute Sache sein, und sie leisten einen Beitrag zur Unterstützung amerikanischer Interessen in Afghanistan (finanziell und mit Truppen). Sichtbare Verbindung zwischen ISAF und dem US-Kontingent bestand darin, dass der kommandierende General derselbe war, ein Amerikaner. –
Der Afghanistan-Krieg war ein Fiasko. Wer weiß? -Wenn die europäischen NATO-Staaten nicht mitgemacht hätten, das amerikanische Volk hätte vielleicht schon längst „aufhören!“ gerufen. – Wer weiß? – Wenn die europäischen NATO-Staaten im Ukraine-Konflikt den USA die Gefolgschaft verweigern würden, vielleicht würde das amerikanische Volk dann auch „aufhören!“ rufen. Wer weiß? – Wenn die europäischen Bevölkerungen „aufhören!“ rufen würden, vielleicht könnte man diesen Krieg beenden, denn der ist der Feind, nicht Herr Putin. Und wer weiß? – Wenn man NATO im Sinne der Überschrift verstehen würde, „No Action, Talk Only“, gäbe es vielleicht einen Neuanfang für europäische Sicherheit mit Russland.