Krieg - Das Ende von Corona und von Europa
Empathie ist die Fähigkeit, sich in Gedanken und Gefühle eines anderen hineinversetzen zu können.
Die Historie
Der britische Premierminister Winston Churchill nannte den zweiten Weltkrieg einmal den unnötigen Krieg. Im Vorwort zu seinen Memoiren schreibt er:
„Eines Tages sagte mir Präsident Roosevelt, dass er die Öffentlichkeit um Anregung ersuche, wie der Krieg benannt werden soll. Ich erwiderte sofort: ´Der unnötige Krieg`. Niemals hätte sich ein Krieg leichter verhindern lassen als dieser, der soeben alles vernichtet hat, was von der Welt nach dem vorangegangenen Kampf noch übriggeblieben war. Die menschliche Tragödie erreicht ihren Höhepunkt darin, dass wir nach allen Mühen und Opfern von Hunderten von Millionen Menschen und nach den Siegen der gerechten Sache noch immer nicht Frieden oder Sicherheit gefunden haben, und dass wir uns inmitten von Gefahren befinden, die noch schlimmer sind, als die überwundenen.“ – Winston Spencer Churchill, Churchill Memoiren Band I., 1948, S. 15
Ich bin der Überzeugung, dass die meisten Kriege (kalte wie heiße) unnötig sind. Sie sind unnötig, weil ihre Ursache im Menschlichen zu finden ist und wir sie daher abstellen können. Wenn wir das nicht tun, dann besteht die Gefahr, dass wir bald wieder einen unnötigen Krieg erleben, nämlich zwischen der US geführten NATO und dem von Putin geführten Russland. Der Glaubwürdigkeit wegen möchte ich den britischen Premier noch einmal bemühen. Der nannte die gegen Deutschland verhängten Wirtschaftssanktionen des Versailler Friedensvertrages von 1919 als “böse und töricht”. Der französische Marschall Foch bemerkte zur Unterzeichnung des Versailler Vertrages:” Das ist kein Friede. Das ist ein Waffenstillstand für zwanzig Jahre.” - Die Diktate der Sieger gegenüber Deutschland entsprachen einem Zeitgeist, dessen Ursachen anscheinend universellen Charakter haben, wie die heutige Politik des Westens gegenüber Russland beweist. Die Ursache lautet: Mangelnde Empathie. Und die wiederum hat auch ihre Ursache: Die weitverbreitete Unfähigkeit bzw. Verweigerung, ganzheitlich zu fühlen und denken. Churchills Beschreibung des Zeitgeistes in Großbritannien nach Ende des ersten Weltkrieges spricht für sich:
“Die breiten Massen hatten von den einfachsten wirtschaftlichen Tatsachen keine Ahnung, und die Parteiführer wagten mit Rücksicht auf ihre Wähler nicht, sie darüber aufzuklären. Die Presse besprach und unterstrich nach altem Brauch die vorherrschenden Ansichten.” – Ebda, S. 22
Die Gegenwart
Für mich hat Churchills Erkenntnis, dass mangelnde Empathie zum 2. Weltkrieg geführt hat, eine erschreckende Aktualität. Die Politik des Westens gegenüber Putins Russland zeugt m.E. von einer Empathielosigkeit, die ebenfalls von einer gleichgeschalteten vorherrschenden Ansicht in weiten Teilen der Bevölkerung sowie bei Politikern und Journalisten getragen wird. Als besonders erschreckend empfinde ich, dass diejenigen, die sich um Empathie bemühen, als “Russlandversteher” beschimpft werden. Wir sind offenen Auges mit Russland in einen zweiten Kalten Krieg hineingelaufen, der ganz schnell heiß werden kann, wie die aktuellen Ereignisse befürchten lassen. Sicher ist: Die Konflikt-Protagonisten haben Interessen, und Moral und Gesetz gehören nicht dazu, wie deren „Realpolitik“ immer wieder zeigt. Sicher ist auch, dass Krieg nicht im Interesse von Staaten sein kann, die aus der Globalisierung nutzen ziehen. Die Verhinderung unnötiger Kriege ist damit ein Gebot der Vernunft. Daraus folgt, dass die Lösung von Konflikten nur gewaltlos geschehen darf. Empathie ist der Schlüssel dazu. Als aktuelles Beispiel für Empathielosigkeit spiegelt folgender fiktive Dialog zwischen den Außenministern, Frau Baerbock und Herrn Lawrow, der so oder so ähnlich wahrscheinlich stattgefunden hat.
Ein fiktiver Dialog
Frau Baerbock: Herr Lawrow, die Einverleibung der Krim war eine brutale Landnahme. Damit haben Sie die Souveränität der Ukraine verletzt, die Länder Osteuropas in Angst und Schrecken versetzt und gegen internationales Recht verstoßen. Die internationale Gemeinschaft musste reagieren. Die Wirtschaftssanktionen werden bleiben und die NATO-Aufrüstung wird weitergeführt, bis Sie die Krim wieder an die Ukraine zurückgegeben haben. Seien Sie gewiss. Einer Aggression gegenüber der Ukraine werden wir mit Stärke begegnen.
Herr Lawrow: Frau Baerbock, die NATO-Osterweiterung war ein eklatanter Verstoß gegen den Geist der 2+4 Gespräche, der die bewaffnete Konfrontation in Europa endlich beenden sollte. Gorbatschow hat damals das östliche Militärbündnis aufgelöst. Das westliche Militärbündnis wurde nicht aufgelöst. Ganz im Gegenteil. Man hat konsequent alle ehem. Staaten des Warschauer Paktes in die NATO hineingeholt und damit defacto den Machtbereich der USA in Europa immer weiter nach Osten geschoben. Als die Ukraine dran war, mussten wir reagieren. Mit der Ukraine in der NATO wäre die Krim und damit das Schwarze Meer amerikanisch geworden. Wir werden mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln verhindern, dass die Ukraine in das westliche Bündnis einverleibt wird. Russland wird seine Grenzen zu schützen wissen.
Frau Baerbock: Herr Lawrow, Sie kennen doch die internationalen Regeln. Jeder Staat hat das Recht, sich kollektiven Sicherheitssystemen anzuschließen. Von diesem Recht haben die Länder Ost-Europas Gebrauch gemacht. Die NATO ist ein Verteidigungsbündnis. Wenn Russland friedliche Absichten hat, gibt es keinen Grund, sich vor uns zu fürchten.
Es geht um Interessen
Sicherlich wurde in dem tatsächlichen Gespräch auch über Interessen gesprochen. Russland ist reich an Rohstoffen und braucht Europa als Wirtschaftspartner. Europa hat einen riesigen Energiebedarf und brauchen das Erdgas aus Russland. Die USA wollen den Europäern ihr Erdgas verkaufen. Nicht nur Northstream 2 ist ihnen ein Dorn im Auge. Ein Europa, dass sich wirtschaftlich nach Osten orientiert, ist nicht in ihrem Interesse. Es könnte den atlantischen Handel zu ihrem Nachteil beeinflussen. Die Ukraine ist vom russischen Erdgas abhängig. Das Land ist global der 5. größte Verbraucher von Erdgas (Wikipedia). Neben eigenen Förderungen ist Russland der Hauptlieferant. In der Vergangenheit war die Ukraine den Russen immer wieder die Bezahlung für das Gas schuldig geblieben. Anfänglich hatte Putin trotzdem geliefert. Dann irgendwann nicht mehr. Die EU musste einspringen. In der Ukraine sieht man die Einbindung in die westlichen Bündnisse EU und NATO als den einzigen Weg, um aus der Abhängigkeit von Russland herauszukommen. Zu diesem Konglomerat von Wirtschaftsinteressen haben die USA und Russland geo-strategische Interessen. Dazu gehören US-Stützpunkte in Osteuropa als Absprungbasen zu den Ländern Zentralasiens (alle, die ein …stan am Ende ihres Namens haben), die reich an Erdgas vorkommen sind. Gleichzeitig verletzt es aber russisches Sicherheitsinteresse, wenn der globale Konkurrent seine Militärbasen an die russische Grenze heranschiebt. Über solche Themen wird in Fachkreisen viel diskutiert und geschrieben. Sie sind auch den Regierungsberatern wohl bekannt und werden bei Gesprächsvorbereitungen dem Kanzler und seinen Ministern vorgetragen. Im krassen Gegensatz dazu stehen die offiziellen Verlautbarungen, die von den Medien transportiert werden. Da wird dann die moralische und juristische Knute gegen Russland geschwungen, und die Menschen glauben es. Aber wer liest schon Winston Churchils Memoiren? Der hatte vor noch schlimmeren Gefahren gewarnt als den gerade erlebten 2. Weltkrieg. Der einzige Weg aus diesem tödlichen Muster „unnötiger Kriege“ ist Empathie mit dem Gegner.
Die Lösung
Vor einigen Jahren hatte das Fraunhofer-Institut ein Projekt aufgelegt, in dem es darum ging, Möglichkeiten für friedliche Konfliktlösungen zwischen verfeindeten Staaten aufzuzeigen. Als Testmodell hatte man den Konflikt zwischen Indien und Pakistan ausgesucht. Beide Länder, nuklear bewaffnet, hatten zwischen 1947 und 1999 unerbittliche Kriege geführt. Ausgesuchte Vertreter der Konfliktparteien füllten unzählige Fragenkataloge aus, in denen kulturelle Werte, Gerechtigkeitsempfinden, Interessen und Sicherheitsbedürfnisse abgefragt wurden. Das Ergebnis war verblüffend. Bei über 60% der Fragen gab es vom Wesen her Übereinkunft. - Ist das nicht die ureigene Aufgabe von Diplomatie, im Konflikt mit einem vermeintlichen Feind das Verbindende auszuloten und nach vorn zu bringen? - Willi Brandt hatte das verstanden, als er seine neue Ostpolitik begann. Empathie mit dem Gegner hatte damals das Ende des kalten Krieges eingeläutet. Geschichte wiederholt sich nicht, heißt ein geflügeltes Wort. Zu jeder Regel gibt es die Ausnahme. Sie könnte sich dieses Mal wiederholen. Wenn sie sich nicht wiederholt, könnte wieder ein unnötiger Krieg ausbrechen. Das Gute wäre: Mit Corona wäre es schlagartig vorbei. Das Schlechte: Mit Europa auch.