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Dumm und fleißig, eine gefährliche Mischung
Was wir von einem General und John Lennon lernen können
Kurt von Hammerstein war Generaloberst der deutschen Reichswehr. Er war eine herausragende Führungspersönlichkeit und ein besonderer Mensch und Vater, wie das folgende Zitat, das von seiner Tochter überliefert wird, beweist: „Meine Kinder sind freie Republikaner. Sie können reden und machen, was sie wollen.“ Hammersteins außergewöhnlicher Charakter zeigte sich auch in seiner politischen Überzeugung. Er war ein erklärter Gegner der Nazis und machte aus seiner Antipathie - auch gegenüber Hitler persönlich - keinen Hehl. Sie können sich vielleicht vorstellen, warum ich gerade diesen General gerne zitiere, wenn er sich zum Thema „Menschenführung“ äußert. In militärischer Knappheit philosophiert er über eine Typologie seines Offizierskorps. Sie hat, wie ich meine, durchaus universellen Charakter. Was Hänschen in der Schule lernt, wird Hans für das spätere Leben prägen.
Ich habe Hammersteins Beurteilungskriterien in einer Philosophiestunde mit einer 8. Klasse zum Thema gemacht. Darüber möchte ich Ihnen erzählen. Nach Hammerstein lässt sich sein Offizierskorps in 4 Gruppen einteilen.
Die erste Gruppe nannte er dumm und faul.
Das ist die Mehrheit seiner Offiziere. Für die tägliche Routinearbeit sind sie gut genug.
Die zweite Gruppe nannte er klug und fleißig.
Das sind die, die im Generalstab für die Bewältigung der schwierigen Aufgaben wichtig sind.
Die dritte Gruppe nannte er klug und faul.
Das sind die zukünftigen Führungspersonen, denn sie arbeiten zielorientiert.
Die vierte Gruppe nannte er dumm und fleißig.
Denen darf man keine wichtigen Aufgaben übertragen, denn sie können großes Unheil anrichten.
Ich hatte diese Unterteilung meinen 8. Klässlern vorgestellt und sie gefragt, wo sie sich einsortieren würden. Die Diskussion war spannend, denn sie waren in der Selbstreflektion unglaublich ehrlich. Die meisten (in der Mehrzahl Jungs) hielten sich für klug und faul. Dann habe ich sie nach ihren Zielen gefragt und warum sie aufs Gymnasium gehen. Um einen guten Abschluss zu machen, um studieren zu können und einen guten Job zu bekommen, bekam ich zur Antwort. Ein guter Abschluss heißt gute Noten, das war allen klar. Eine gute Note bekommen setzt voraus, dass man im Unterricht mitarbeitet und versteht, dass man seine Hausaufgaben macht und dass man für eine Klassenarbeit vorbereitet ist. Auch dem haben sie zugestimmt. Dann habe ich sie gefragt, wie sie es bezeichnen würden, wenn man im Unterricht nicht mitarbeitet, keine Fragen stellt, wenn man nicht verstanden hat, seine Hausaufgaben nicht macht und sich nicht auf eine Klassenarbeit vorbereitet. Das sei dumm, haben sie geantwortet. Schweigen. Dann kam das große Gelächter. Wir sind dumm und faul. Das glaube ich nicht, habe ich sie beruhigt. Deswegen geht ihr ja zur Schule. Hier sollt ihr lernen, wie man klug ist. Ich möchte, dass ihr lernt, klug und faul zu sein. Ungläubige Gesichter. Ich habe es ihnen an einem Beispiel erklärt.
Wenn ihr morgen eine Latein-Arbeit anstehen habt und eine gute Note für euch sehr wichtig ist, dann werdet ihr am Nachmittag vorher Latein pauken. Und wenn ihr sicher seid, gut vorbereitet zu sein, dann packt ihr eure Tasche und genießt den Rest des Tages. Freizeit ist auch wichtig. Die Hausaufgabe für Geographie, die ihr eigentlich auch noch zu machen hättet, lasst ihr sausen. Dem Lehrer sagt ihr am nächsten Tag, dass ihr die Hausaufgabe nicht gemacht habt, weil Latein wichtiger war. Wenn ihr Schule so hinkriegt, dann seid ihr klug und faul. Aufruhr. Einem Lehrer ins Gesicht zu sagen, dass man seine Hausaufgaben absichtlich nicht gemacht hat, das fanden sie cool.
Meldet sich ein Junge aus der ersten Reihe. Meine Mama hat ihr Studium abgebrochen, um Kinder zu haben und zuhause zu bleiben. Ist das klug oder dumm? – Wie findest Du denn das, habe ich ihn gefragt. Klug, hat er geantwortet. Ich habe ihnen John Lennons Antwort erzählt. Als er noch ein Kind war, hatte seine Mutter ihm immer gesagt, dass das Wichtigste im Leben sei, glücklich zu sein. In der Schule hat der Lehrer dann irgendwann mal die Kinder gefragt, was sie später werden wollen. John Lennon hat geantwortet: Glücklich. Der Lehrer meinte darauf, dass er die Frage wohl nicht verstanden hätte. Und sie nicht das Leben, hat der kleine John ihm geantwortet. – Unbenommen davon, ob diese Geschichte wahr ist oder erdacht wurde, wahr ist doch die Botschaft dahinter. Sie bekommt universellen Charakter, wenn man die des Generals hinzunimmt. Für den Generaloberst von Hammerstein heißt klug sein auf ein Ziel hin handeln. Der Musiker-Philosoph John Lennon erinnert daran, dass alle Ziele im Leben letztlich immer nur einem einzigen Ziel dienen. Glücklich sein.
Sollte das nicht die eigentliche Aufgabe von Schule sein, Kindern beizubringen, auf diese Weise klug zu sein? Die Klugheit, auf die es ankommt, besteht nicht in der Anhäufung von Wissen, sondern im Erfahren von Kompetenzen, auf die es in Leben und Beruf ankommt. Es sind Zielstrebigkeit (ich will das!), Neugier (ich will wissen!) Autonomie (ich kann das!) und Gemeinschaftssinn (Wir brauchen einander!). Stattdessen lernen sie in der Schule angepasst sein. Sie lernen, was der Lehrer ihnen vorgibt und verstehen oft nicht, warum sie das alles wissen sollen, bis auf, dass es in der Klassenarbeit drankommt. Dabei zählt die Einzelleistung. Wer nicht genug „Wissen“ reproduziert, wird mit einer schlechten Note bestraft, genauso wie Hilfe suchen beim Nachbarn während der Klassenarbeit. Dahinter steckt kein böser Wille. Schule war schon immer so. Die moderne Industriegesellschaft braucht den funktionstüchtigen, leistungsbereiten und vorhersagbaren Menschen. Den findet man idealer Weise in der Gruppe der dummen und fleißigen.
Später im Leben, wenn sich trotz allem Fleiß das Glücklichsein nicht eingestellt hat, wechselt der Mensch in die Gruppe der dummen und faulen. Innere Kündigung sagt man dazu. Sie geben sich durch ihre Standardfrage zu erkennen: Wie lange musst Du noch? - Andere schaffen es, klug zu sein. Sie sind fleißig, was ihnen Erfolg im Beruf sichert. Bei optimaler Mischung von Klugheit und Faulheit können sie in die höchsten Führungspositionen aufsteigen. Ob sie sie ausfüllen, hängt meiner Meinung nach von der Beseeltheit zum glücklich sein ab. Hier ergänzen sich die Führungserfahrung eines Generals mit der Lebensweisheit eines John Lennon.
Wie können unsere Führungspersonen in Politik und Medien glücklich sein, wenn sie Entscheidungen treffen bzw. gutheißen, die Menschen unglücklich machen? Lockdowns und Krieg unterstützen machen Menschen unglücklich. Solche Entscheidungen als „alternativlos“ zu bezeichnen, ist dumm. So etwas zu glauben, auch. Im Bereich des Menschlichen ist nichts alternativlos, vor allem dann, wenn in der Konsequenz Menschen unglücklich gemacht werden. Bei der Umsetzung ihrer Entscheidungen legen die Verantwortlichen und ihre Unterstützer viel Fleiß an den Tag. Damit erfüllen sie das vierte Kriterium, das Generaloberst von Hammerstein bei der Beurteilung seiner Offiziere zum Maßstab genommen hat. Dumm und fleißig. Denen darf man keine wichtigen Aufgaben übertragen, denn sie können großes Unheil anrichten.