Die Dummheit, die ich meine, ist System immanent. Das von den Russen veröffentliche Telefongespräch zwischen Luftwaffenoffizieren über den Einsatz der deutschen Abstandswaffe “TAURUS” im Ukrainekrieg, das seit Tagen die veröffentlichte Meinung erregt, ist ein klassisches Beispiel dafür. Die Verschwörungstheorien, die sich darum ranken, mögen für Polit-Talkshows, in Bundestagsdebatten und an Stammtischen unterhaltsam sein und für Unruhe in der westlichen Anti-Putin Phalanx gesorgt haben, was sicherlich Absicht der Russen war, als sie das Gespräch veröffentlichten. Ein Beweis, dass es sich um eine Verschwörung handelte, gibt es nicht. Meine Theorie ist, dass wir es mit einer Kungelei zwischen Flieger-Kumpels zu tun haben.
Im Folgenden möchte ich Ihnen diese einfache und für einen Laien ungeheuerliche Feststellung näher erklären. Die Argumente, die ich vorbringe, basieren auf meiner langjährigen Erfahrung als Tornado-Pilot/Lehrer und Mitverantwortlicher bei der Einführung des Waffensystems an der Nahtstelle zwischen der Luftwaffe und der Rüstungs-Industrie. Allem voran aber steht mein Selbstverständnis als Offizier in einer Demokratie, in der das Prinzip der Souveränität der Politik über das Militär gilt. Lassen Sie mich mit dem Letzteren beginnen.
In einer Demokratie besteht die erste Pflicht eines Generals in der herausgehobenen Position eines Luftwaffeninspekteurs darin, seinem zivilen Dienstherren, dem Minister, Rat zu geben, wenn es um den Einsatz von Luftkriegsmitteln für politische Ziele geht. Gegen diese Pflicht hat General Gerhartz, amtierender Luftwaffeninspekteur, verstoßen, als er in dem Telefongespräch zu erkennen gab, dass er den Einsatz einer deutschen Luftkriegswaffe im Ukraine-Krieg, hier dem „TAURUS“, dem Minister unterjubeln wollte. Damit hat er ein Dienstvergehen begangen, das nicht nur disziplinare Maßnahmen nach sich ziehen muss, sondern Grund genug ist, beim Bundespräsidenten dessen Entlassung zu beantragen. Das Gleiche gilt sinngemäß für den ihm unterstellten General Gräfe, der sich in dem Telefongespräch als Kumpane in diesem ungeheuerlichen Vorgang zu erkennen gegeben hatte. Jetzt zu der Dummheit, die ich für System immanent halte.
Gerhartz und Gräfe scheinen Flieger-Kumpel zu sein. Ihr Auftreten und nicht zuletzt die Sprache, in der sie miteinander reden, sind mir aus meiner Dienstzeit wohlbekannte Muster bei solchen „Flieger-Generälen“. Sie tragen narzisstische Züge. Beispiele. - Bei Planungskonferenzen, an denen ich während meiner Dienstzeit in der NATO regelmäßig teilnahm, stand zu Beginn immer die Selbstvorstellung. Es war Usus, dass der Teilnehmer seine derzeitige Stellung und Funktion im System kundtat (Abteilungsleiter für Ausbildung, Logistik, Personal u.ä.). Nicht so manche Offiziere (einschließlich solcher im Generalsrang!) aus dem fliegenden Bereich. Sie begannen ihre Vorstellung mit Name, Dienstgrad und dem Satz: „I am a Fighterpilot!“ – Inspekteure der Luftwaffe sind allzu oft zu solchen Events mit dem Kampfflugzeug „angereist“. Sie nahmen an solchen Meetings in Fliegerkombi teil. Für manche Generalsoffiziere in der Luftwaffe, die einen fliegerischen Background hatten, ist es wichtig, in ihrer Führungs-Verwendung die fliegerische Inübunghaltung auf ihrem letzten Einsatzmuster zugesagt zu bekommen. Um mitreden zu können, ist die (fragwürdige) offizielle Begründung. Tatsache ist, dass diese Piloten für den Einsatz unwichtig sind, die knappe Ausbildungsressource Flugzeug für die Ausbildung der jungen Besatzungen blockieren und damit Geld verschwenden. Anscheinend brauchen diese Generäle den Nimbus „Fighterpilot“, um unter ihren Generalskameraden, die keinen fliegerischen Hintergrund haben (Logistiker, IT-Fachleute, Personalführer, Panzer und U-Bootfahrer usw) einen besonderen Wert zu empfinden. Zur Ehrenrettung von Generalsoffizieren aus dem Jet-fliegenden Bereich möchte ich an dieser Stelle betonen, dass es auch sehr fähige unter ihnen gibt, die nicht ihren Waffenstolz vor sich hertragen, sondern vor Allem ihre Führungsrolle als General in Wort und Tat leben. Ihr Anspruch an sich selbst liegt im Dienen und nicht im Machen.
Ohne Psychologe zu sein, könnte man zu der Ansicht kommen, dass sich hier eine Form von Narzissmus zeigt. Defizite in der Persönlichkeitsentwicklung werden über das Außen kompensiert. Namhafte Psychologen sprechen sogar von einer Krankheit unserer Leistungsgesellschaft. Führungspersonen in Wirtschaft und Politik zeigten ähnliche Symptome. - Dieser systemische Teil des Problems „Dummheit“ zeigte sich im Verhalten der genannten Generalsoffiziere. Deren Dummheit bestand im naiven Machtmissbrauch, der für Generäle typisch ist. Um den zu verdeutlichen, möchte ich die Grammatik bemühen. Die Mehrzahl von General in einer Demokratie ist Generale. Generäle sind Militärs, die putschen, wie einst in Südamerika. Generale dienen. Generäle wollen Macht ausüben, für ein „höheres“ Ziel und/oder zum eigenen Vorteil. Die Antworten auf folgende Fragen, die sich aufdrängen, sollen deutlich machen, dass wir es bei den telefonierenden Offizieren mit Generälen zu tun haben.
Warum waren sie so brennend daran interessiert, dass der Flugkörper „TAURUS“ gegen die Russen eingesetzt wird? - Um die Russen in der Ukraine militärisch zu besiegen? - Wenn sie das glaubten, dann sind sie dumme Narzissten. Die Geschichte zeigt, dass es keine „Wunder-Waffen“ gibt, mit denen man Kriege gewinnen kann. Ich denke, dass sie eher Narzissten sind, die ihren eigenen Vorteil im Auge hatten. Sie waren von der Logik der Waffenlieferungen an die Ukraine und deren Dynamik überzeugt. Das konnten sie auch, wie ein anderes prominentes Beispiel gezeigt hat.
Als die Entscheidung für die Lieferung von Leopard-Panzer an die Ukraine gefallen war, kam es in der Folge sofort zu einem Abkommen der deutschen Rüstungsindustrie mit der Ukraine (von der Bundesregierung unterstützt!), in der Ukraine ein Panzerwerk zu bauen. Milliarden-Aufträge winkten. Wenn die Bundesregierung den “TAURUS” freigeben würde, wäre mit ähnlichen Folge-Erscheinungen zu rechnen. Es geht dann nämlich nicht mehr um ein paar Dutzend Flugkörper aus deutschen Beständen, sondern um die Produktion von Hunderten vielleicht sogar Tausenden, wenn man das Export-Geschäft dazu nimmt.
Wenn die Generäle Gerhartz und Gräfe den Einsatz des “TAURUS” in der Ukraine „eintüten“ würden, wäre ihnen ein lukrativer Job in der Rüstungsindustrie sicher. Da Verteidigungsminister Pistorius den “TAURUS”-Einsatz scheinbar für nicht opportun hielt, hat man versucht, von außen Wichtigkeit herzustellen. Über persönliche Kontakte zu verantwortlichen amerikanischen Generalen wollte man das Thema „TAURUS“ in Washington interessant zu machen. Damit erhoffte man sich den politischen Druck, der die Bundesregierung veranlassen würde, das deutsche Waffensystem für den Kriegseinsatz in der Ukraine freizugeben, nicht um den Krieg zu gewinnen, sondern um ins Geschäft zu kommen. Ihre Dummheit bestand darin, diese Kungelei über ein offenes Telefonat zu besprechen.
In diesem Zusammenhang wäre es interessant zu fragen, welche Kontakte es zur Rüstungsindustrie gegeben hat. Die „lobbyied“ nämlich täglich unverholen mit Kontaktpersonen (ehemalige Flieger-Kumpel) in den Verbänden und Führungsstäben der Luftwaffe. Das ist meine Erfahrung aus der Tornado-Zeit und ist eigentlich verboten. Aber Piloten ist nichts verboten, wie mir einst ein verbitterter Nicht-Flieger Kamerad in der Luftwaffe immer wieder vorgehalten hat. In diesem Sinne ist Dummheit kein persönlicher Vorwurf an die beiden Generäle. Sie ist systemisch. Wollte man das ändern, müsste man Auswahl und Ausbildung der zukünftigen Generale ändern. Und wenn Narzissmus tatsächlich ein Phänomen unserer Leistungsgesellschaft ist, müsste man die Gesellschaft ändern. Und die Gesellschaft sind wir alle. Wenn wir also die Dummheit abschaffen wollten, müsste sich jeder einzelne ändern. Also, auf geht’s.