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Führungspersönlichkeiten braucht die Welt und keine Sheriffs
Palästina und Ukraine. Man will wieder einmal einen Krieg gewinnen. Arme alte Welt.
In verzweifelter Lage Menschen in der Seelennot brennen, entweder niederträchtig zu handeln oder wegzurennen. - Jonathan Swift
Wegrennen können die Palästinenser nicht und wollen es auch nicht. Palästina ist ihre Heimat. Genauso wenig wollen die Juden wegrennen, weil ihr Staat Israel, der in Palästina liegt, ihre Heimat ist. Die Seelennot, der die Menschen der Region seit Generationen ausgeliefert sind, besteht darin, dass beide Völkerschaften ihr Überleben daran festmachen, die andere zu bekämpfen. Die unmenschlichen und fürchterlichen Niederträchtigkeiten, die sie sich dabei gegenseitig antun, an Wertungen zu knüpfen – hier: Die Hamas der Palästinenser sind Terroristen und dort: Die Israelis sind verbrecherische Okkupanten und Unterdrücker – gießt aber nur noch mehr Öl ins Feuer. Gewalt erzeugt Gegengewalt. Die von Israel gewonnen Kriege gegen seine aggressiven arabischen Nachbarn seit 1948 sowie die gewaltsamen Intifadas der Palästinenser in den besetzten Gebieten und die aggressive Gegenreaktion der Israelis haben zu einem Teufelskreis der Gewalt geführt, der nur dadurch gebrochen werden kann, wenn man aufhört, den anderen zu verteufeln, Empathie zeigt und auf ihn zugeht. Es kann und darf nicht darum gehen, seiner Sache zum „gerechten“ Sieg zu verhelfen, sondern vielmehr darum, Gemeinsamkeiten zu finden, auf denen man aufbauen kann, um ein friedliches Nebeneinander möglich zu machen.
Der einstige israelische Premierminister Yitzhak Rabin (1922-1995) war genau von diesem Gedanken beseelt, als er dem Palästinenser-Führer (und Terroristen) Yassir Arafat die Hand zum Frieden gereicht hat. In diesem Geist, Gemeinsamkeiten zu finden, hatten eine palästinensische und eine israelische Delegation unter der Ägide der norwegischen Regierung in Oslo eine Friedensvereinbarung geschlossen. Lösungen für das Trennende hatte man auf die Zukunft verschoben. Die Friedenspolitik fand jedoch ein jähes Ende. Die Saat der Gewalt war schon längst aufgegangen. Rabin wurde von einem jungen Israeli wegen seiner Friedenpolitik erschossen. Seine letzten Rede, die er auf einer Friedenkundgebung kurz vor seiner Ermordung gehalten hat, beendete er mit den Worten: Der Weg des Friedens ist dem Weg des Krieges vorzuziehen. Ich sage euch dies als jemand, der 27 Jahre lang ein Mann des Militärs war.“ – Vor seiner politischen Karriere hatte Rabin sich als Offizier und General um die Existenz und die Sicherheit des Staates Israel verdient gemacht. Im siegreichen Sechstagekrieg 1967 gegen die verbündeten Armeen Ägyptens, Syriens und Jordaniens war er der Oberkommandierende der israelischen Streitkräfte. Seine Bestimmung könnte man auf einen Nenner bringen. Ein Mann des Krieges wurde zum Friedensengel. Die Erfahrungen mit Krieg gepaart mit Führungscharisma brachten ihn an die Spitze des demokratischen Staates Israel. Die neuere europäische Geschichte kennt ein ähnliches Beispiel. Charles de Gaulle.
Der einstige General, der die französischen Truppen bei der Befreiung Frankreichs von den Nazis kommandierte, wurde während des französischen Algerienkrieges von seinem Volk zum Ministerpräsidenten seines Landes gewählt. Man setzte auf seine Meriten als General und Befreier Frankreichs und glaubte, dass er der ideale Sheriff wäre, um den Krieg siegreich zu beenden. Die französische Generalität und die Führung der europäischen Bevölkerung Algeriens wurden enttäuscht. De Gaulle entpuppte sich als Friedensengel.
Der Algerienkrieg (1954-1962) ging ins vierte Jahr als er 1958 zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. In seiner brutalen Ausprägung stand er dem in nichts nach, was wir gerade in Palästina erleben. Die Terroristen der F.L.N. (die Hamas der einheimischen kabylischen Bevölkerung Algeriens) griffen französische Militäreinrichtungen an, verübten Bombenanschläge in den Städten und schnitten Menschen die Köpfe und andere Gliedmaßen ab, während die französische Armee mit aller Brutalität gegen die Terroristen vorging und ihre Luftwaffe kabylische Dörfer mit Napalm-Bomben verbrannten. Am Ende des Krieges sollten über 1 Millionen ihre Leben verloren haben. In dieser Hass erfüllten Atmosphäre hielt de Gaulle 1958 im algerischen Constantine seine berühmte Versöhnungsrede. Hier sind die Schlüsselsätze:
Warum töten? Wir müssen es den Menschen ermöglichen zu leben. Warum zerstören? Es ist unsere Pflicht aufzubauen. Warum hassen? Wir müssen zusammenarbeiten. – Noch im selben Jahr bot de Gaulle auf einer Pressekonferenz den Terroristen der F.L.N. den Frieden der Mutigen an.
Ich sage hier unmissverständlich, dass die meisten Männer des Aufstandes mutig gekämpft haben. Lasst endlich den Frieden der Mutigen zu, und ich bin sicher, dass aller Hass weichen und verschwinden wird. Was bedeutet das konkret? Es ist ganz einfach: Wo immer sie in Kampfeinheiten organisiert stehen, sollen ihre Vorgesetzten mit den französischen Militärkommandos Kontakt aufnehmen. Die alte Kriegers ́Tradition, die von je her galt, um die Waffen zum Schweigen zu bringen, war die weiße Fahne des Waffenstillstands zu schwenken. Und ich antworte darauf, dass dann alle Kämpfer ehrenhaft empfangen und behandelt werden.
Kurzfristig hatte de Gaulles Politik keinen Erfolg. Es fehlte das Vertrauen. Die Europäer in Algerien und das französische Militär waren sich sicher, den Krieg gewinnen zu können. De Gaulle wusste, dass er den Krieg gewinnen würde, aber nicht den Frieden. Er ging den Weg des „Paix des Braves“ beharrlich weiter und bot den Algeriern 1959 das Selbstbestimmungsrecht an. Die Europäische Bevölkerung Algeriens und das französische Militär waren außer sich. Die Europäer in Algerien revoltierten 1960 gegen die französische Regierung. Schon vorher gab es einen Putschversuch französischer Generäle. Beide Aktionen blieben erfolglos genauso wie mehrere Attentatsversuche. De Gaulles Friedenspolitik führte 1961 endlich zum Erfolg. Das kriegsmüde französische Volk bestätige in einem Referendum seine Politik und stimmte für die Unabhängigkeit Algeriens, die im Juli 1962 von der französische Regierung offiziell verkündet wurde. Charles de Gaulle hatte den Frieden gewonnen.
Die Geschichte über den Paix des Braves ist dem Buch von Alister Horne: A Savage War of Peace – Algeria 1954 – 1962) entnommen. Wer das Buch liest, wird feststellen, dass es in vielen Details ein Spiegelbild des Krieges zwischen Israel und den Palästinensern ist. Überlegenes Militär kann Schlachten gewinnen und manchmal sogar einen Krieg aber nicht den Frieden. Das gilt nicht nur für den Konflikt in Palästina, sondern für alle Kriege der Neuzeit, auch für den Ukraine-Krieg. Sie alle wurden und werden von Sheriffs und Hilfssheriffs geführt. Sie kennzeichnet die Unfähigkeit zum Frieden. Kriege zu verhindern und zu beenden, wenn sie einmal ausgebrochen sind, dazu bräuchte es Führungspersönlichkeiten und die scheinen ausgestorben. Arme, alte Welt.