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Fliegen kann man einem Affen beibringen
Die F16 – Kampfwertsteigerung für die ukrainische Luftwaffe?
Mein amerikanischer Flight Commander in der Phantom-Ausbildung pflegte immer zu sagen: You can teach a monkey to fly. You just need to take enough bananas (Man kann einem Affen das Fliegen beibringen. Man muss nur genug Bananen mitnehmen). Ich musste an diesen Satz denken, als ich von einem Statement las, das ein ungenannter US-Air Force F16 Pilot gegenüber dem Sender CNN gemacht hatte. Er meinte, dass man innerhalb von drei Monaten ukrainische Piloten auf die F16 schulen könnte. Sie wären dann in der Lage, das Flugzeug zu fliegen. Wir erinnern uns. Seit Wochen drängt der ukrainische Präsident Selenskyj NATO-Staaten, seiner Luftwaffe F16 Kampfflugzeuge zur Verfügung zu stellen. Man brauche sie, um der Übermacht der russischen Luftwaffe im Luftraum über der Ukraine Einhalt zu gebieten. Mein amerikanischer Flight Commander brachte seine Bemerkung immer dann an, wenn der Waffenstolz bei uns Neulingen mit uns durchging und wir meinten, eine Phantom zu fliegen würde uns zu „Fighter-Pilots“ machen. Es brauchte viele Stunden Theorie und Praxis, um das Kampfflugzeug sicher und effektiv als Waffenplattform bedienen zu können. Auch am Ende der Ausbildung waren wir weit davon entfernt, „Combat Ready“ zu sein. Es brauchte noch einmal ca. 2 Jahre tägliches Üben in einer Einsatzstaffel, bis man diese Qualifikation zuerkannt bekam. Diese Zeitspanne verkürzt sich natürlich, wenn erfahrene Piloten auf ein neues Muster umschulen.
Die Erfahrungen der deutschen Luftwaffe bei der Umschulung von Starfighter- und G91-Piloten auf die Phantom haben das gezeigt. Wenn demnächst die ukrainische Luftwaffe F16 Kampflugzeuge geliefert bekommt, kann man ebenfalls davon ausgehen, dass im Anschluss an die rein fliegerische Ausbildung eine verkürzte Waffensystem-Ausbildung stattfinden wird. Ob die F16 damit zu einer Kampfwertsteigerung der ukrainischen Luftwaffe führen wird, muss jedoch bezweifelt werden. Während die Umschüler der deutschen Luftwaffe im Anschluss an die verkürzte Ausbildung unbegrenzt Zeit hatten, im Friedens-Flugbetrieb der Einsatzstaffel weiter wichtige Erfahrungen auf dem neuen Einsatz-Muster zu sammeln, würden die ukrainischen Piloten mit der F16 ziemlich sicher sofort in den Kriegseinsatz geschickt werden. Damit sind Flugunfälle und unnötige Verluste vorprogrammiert. Kritiker dieser Waffenhilfe haben zur Genüge auf andere Einschränkungen wie das Fehlen von ausgebildetem technischen Personal, einer Typ bezogenen Infrastruktur an den Luftwaffenbasen und einer logistischen Versorgung (Ersatzteile und Munition) hingewiesen. Sie sollen im Folgenden nicht das Thema sein. Entscheidend für militärischen Erfolg ist nicht so sehr eine technische Überlegenheit bei den Waffensystemen, sondern die Einsatzdoktrin. Die bestimmt, wie die verfügbaren militärische Fähigkeiten am Boden, in der Luft und zu Wasser aufeinander abgestimmt zur Wirkung gebracht werden, um das gesteckte Kriegsziel und damit das politische Ziel zu erreichen. In der NATO-Terminologie nennt man das Jointness.
Der Oberkommandierende der Koalition, die im 2. Golfkrieg (Desert Storm) Kuweit von der irakischen Besetzung befreit hat, US-General Norman Schwarzkopf, sagte einmal: Ich will, dass im Kampf die Aufmerksamkeit meiner Soldaten nach vorne gerichtet ist und nicht nach oben. Daraus folgt der Auftrag an die Luftwaffe, die gegnerischen Luftangriffskräfte auszuschalten, einmal über dem eigenen Gebiet durch Jagdflugzeuge und Flugabwehrraketen (defensive Luftverteidigung) und, was noch effektiver ist, durch Zerstören der Luftangriffskräfte des Gegners auf deren Heimat-Flugplätzen (offensive Luftverteidigung). Im Idealfall erreicht man damit Luftherrschaft über dem eigenen Land. Nichts fliegt mehr außer die eigenen Maschinen. Das bisherige Agieren der russischen Luftwaffe im ukrainischen Luftraum beweist, dass die ukrainische Luftwaffe nicht in der Lage ist, Luftherrschaft sicherzustellen. Daran werden auch einige Dutzend F16 nichts ändern. Das Land ist zu groß, und die russische Luftwaffe übermächtig.
Ist der Gegner zu stark oder verbieten politische Gründe, das gegnerische Gebiet anzugreifen, bleibt noch die Option, für einen bestimmten Zeitraum über einem Teil des Kampfgebietes Luftüberlegenheit herzustellen. Jagdflugzeuge fliegen Sperrriegel, um gegnerischer Angriffsflugzeuge vor dem Einfliegen abzufangen. Der seit Wochen angekündigte Gegenangriff wird sicherlich auf Luftüberlegenheit setzen. Ob sie den Erfolg bringen wird, wir werden sehen. Luftverteidigung ist aber nur ein Teil einer Joint-Luftwaffendoktrin. Ein anderer ebenso wichtiger ist die Unterstützung der eigenen Truppen im Gefecht.
Die geschichtliche Erfahrung hat gezeigt, dass große Landarmeen Luftstreitkräfte immer wieder als fliegende Artillerie (Kanonen) angesehen haben. Jagdbomber haben direkt in das Kampfgeschehen eingegriffen und Panzer und Truppenansammlungen bombardiert. Im zweiten Weltkrieg war diese Doktrin sehr erfolgreich (Stichwort: Stukas). YouTube-Clips vom Gefechtsgeschehen in der Ostukraine scheinen zu belegen, dass diese Doktrin von der russischen Luftwaffe nach wie vor favorisiert wird. Sie zeigen aber auch die Achillesferse dieser Einsatzart. Jagdbomber, die zum Bombenwurf ansetzen, begeben sich in die Reichweite der Heeresflugabwehr. Die reicht vom Flugabwehrpanzer Gepard, über Ein-Mann Flugabwehrraketen (Stinger) bis hin zur Kalaschnikow des einfachen Soldaten. Es genügen einige wenige Treffer, um einen Hightech-Jet abzuschießen. Wenn eine F16 einen russischen T90 Panzer zerstört, beträgt der materielle Verlust 3 000 000 $. Wird eine F16 von der Heeres-Flugabwehr abgeschossen, 30 000 000 $. Fazit: Moderne Kampfflugzeuge im direkten Bodenkampf einzusetzen rechnet sich nicht. T90 Panzer gibt es genug, F16 nur einige wenige. Die Ukrainer sollten ihre Artillerie benutzen, um den Gegner präzise und wirkungsvoll zu bekämpfen.
Einen anderen wichtigen Grund, der gegen das direkte Eingreifen von Jagdbombern in den Bodenkampf spricht, haben US-Heereskommandeure nach dem 2. Golfkrieg vorgebracht. Wenn eigene Kampfflugzeuge über dem Gefechtsfeld operieren, heißt das für die Heeres-Luftabwehr und Artillerie: Aufhören zu feuern. Man will nicht riskieren, eigene Flugzeuge abzuschießen. Damit kommt allerdings die Dynamik des eigenen Handelns zum erliegen. Das bringt mich zu der letzten Operationsform bei der Unterstützung des Landkrieges. Abriegelung der Kampfzone in der Tiefe. Man bombardiert Reserven, die sich zum Eingreifen in das Gefecht im Hinterland formieren, sowie den Nachschub für die kämpfende Truppe an der Front und dessen Verkehrswege. Die F16 wäre dafür gut geeignet. Ob man in Anbetracht der Priorität einer Luftverteidigung deren Fähigkeit dazu nutzen kann, muss bezweifelt werden. An dieser Stelle möchte ich es bei meiner, zugegeben vereinfachten, Exkursion in die Doktrin des modernen Luftkrieges bewenden lassen und meine Ausführungen abschließen.
Man kann vielleicht Affen durch Dressur das Fliegen beibringen. Man kann sicherlich fähige ukrainische Piloten motivieren, nach kurzer Ausbildung mit der F16 in den Kriegseinsatz zu gehen. Ob man bei unseren Politikern und Medien die Einsicht wecken kann, dass die Lieferung von Hightech-Kampfflugzeugen an die Ukraine militärisch unsinnig ist, steht in den Sternen. Die Militärs müssten es wissen, aber sie schweigen. „Toys for the boys“ gilt für alle Luftwaffen dieser Welt.