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„Warum töten? Wir müssen es den Menschen ermöglichen zu leben. Warum zerstören? Es ist unsere Pflicht aufzubauen. Warum hassen? Wir müssen zusammenarbeiten.“
Diese Worte sagte der neu gewählte französische Ministerpräsident Charles De Gaulle 1958 auf der Höhe des französischen Algerienkrieges in einer Rede in Constantine, Algerien. – Wo gibt es heute einen verantwortlichen Politiker, der im Angesicht des Leidens der Menschen im Ukraine-Krieg (Zivilisten und Soldaten) solche Worte sagt? – Wo gibt es heute einen General, der solche Worte sagt? – Charles de Gaulle war General. Er befehligte die französischen Truppen während des zweiten Weltkrieges im Kampf gegen Hitler.
Vielleicht gibt es auch heute solche Führungspersonen, die sich dem Recht auf Leben und Wohlergehen von Menschen verpflichtet fühlen. Nur, man hört sie nicht. Zu laut ist das Kriegsgeschrei der Medien, zu perfekt der Informationskrieg der ukrainischen Regierung gegen Russland und gegen mäßigende Stimmen im Westen, zu Angst einflößend das Kettengerassel aus Brüssel, zu selbstherrlich die Beflissenheit der Rüstungsindustrie, jedes gewünschte Waffensystem in kürzester Zeit und jeder Menge ins Kriegsgebiet zu liefern und nicht zu vergessen, zu peinlich still ist es um die Geilheit westlicher Militärs auf die Erhöhung ihrer Budgets. Die bedeutet nämlich Wachstum, mehr Soldaten, mehr und neuere Waffensysteme, Vergrößerung ihrer Organisation und damit einhergehend, mehr Generalsdienstposten. Krieg ist der Vater aller Dinge, schrieb der griechische Philosoph Heraklit (550 – 460 v.Chr). Wer es in diesen Tagen wagt, gegen den Krieg in der Ukraine zu reden, wird als Russenfreund, Putin-Versteher und Verräter von Demokratie und Freiheit verschrien. Putin besiegen ist das Ziel des Krieges. Dabei wissen wir aus der Geschichte, dass eine starke Militärmacht nur durch einen totalen Krieg besiegt werden kann. Der endet bekanntlich entweder durch die totale Vernichtung des Gegners (siehe Karthago) oder in der bedingungslosen Kapitulation (siehe Drittes Reich). Beides sind für heutige Kriege gegen eine Atom-Macht wie Russland KO-Alternativen. Es wird wieder einmal so lange weitergekämpft werden, bis genug gelitten, gestorben und zerstört worden sein wird. Als wenn Afghanistan nie passiert wäre. Für die kriegsmüden Franzosen im Algerienkrieg war es das Jahr 1958. Sie erinnerten sich an ihren Kriegshelden und ersten Staatspräsidenten (1945-1946) Charles de Gaulle und wählten ihn in das Amt des Ministerpräsidenten.
Der Krieg zwischen der algerischen Befreiungsbewegung F.L.N. und dem französischen Militär befand sich im vierten Jahr. Er sollte noch bis 1962 andauern. Das französische Militär setzte alle seine modernen Möglichkeiten zur Kriegführung ein. Die Einen führten einen Terrorkrieg in den Großstädten, die Anderen bombardierten einheimische Dörfer mit Napalm. Auf beiden Seiten wurde gehasst, gefoltert und gestorben. Am Ende sollten über eine Millionen Menschen ihr Leben verloren haben. Um den Krieg zu beenden, verkündete de Gaulle umfassende Reformen zu Gunsten der Kabylen, der bis dahin quasi rechtlosen muslimischen Mehrheit Algeriens. Er amnestierte tausende von gefangenen F.L.N. Kämpfern. Todesurteile wurden aufgehoben. In einer Pressekonferenz am 23. Oktober 1958 machte er sein berühmtes Friedensangebot an die Kämpfer der F.L.N, den Frieden der Mutigen (Paix des Braves):
Ich sage hier unmissverständlich, dass die meisten Männer des Aufstandes mutig gekämpft haben. Lasst endlich den Frieden der Mutigen zu, und ich bin sicher, dass aller Hass weichen und verschwinden wird. Was bedeutet das konkret? Es ist ganz einfach: Wo immer sie in Kampfeinheiten organisiert stehen, sollen ihre Vorgesetzten mit dem französischen Militärkommandos Kontakt aufnehmen. Die alte Krieger-Tradition, die von je her galt, um die Waffen zum Schweigen zu bringen, war die weiße Fahne des Waffenstillstands zu schwenken. Und ich antworte darauf, dass dann alle Kämpfer ehrenhaft empfangen und behandelt werden.
De Gaulle hatte die französischen Soldaten und die Terroristen der F.L.N. als „Mutige” bezeichnet. Damit lobte er nicht nur ihren Kampfgeist, sondern appellierte an ihren Mut, mit ihm den Weg des Friedens zu wagen. Kurzfristig hatte er keinen Erfolg. Die Scharfmacher in der F.L.N., bei den europäischen Algeriern und im französischen Militär standen sich in nichts zurück, den Gegner zu verteufeln und weiter an der Gewaltspirale zu drehen. De Gaules Friedendpolitik anzunehmen wurde als Verrat an der eigenen Sache angesehen. Man schreckte sogar vor Staatsstreich und Mord nicht zurück. Die europäischen Algerier revoltierten 1960 gegen die französische Regierung. Eine Gruppe französische Generale unternahmen einen Putschversuch. Beide Aufstände blieben erfolglos genauso wie mehrere Attentatsversuche auf das Leben des französischen Ministerpräsidenten. Der verfolgte furchtlos weiter seine Friedenspolitik, die schon im Jahr darauf erfolgreich war. In einem Referendum wurde sie 1961 vom französischen Volke bestätigt. Wiederum ein Jahr später, im Juli 1962, entließ die französische Regierung das französische Departement Algerien in die Unabhängigkeit. Charles de Gaulle hatte den Frieden gewonnen.
Die Geschichte über den Paix de Braves kann man in dem Buch “A Savage War of Peace – Algeria 1954-1962” von Alistair Horn nachlesen. Mit vielen Fotos und akribischen Detail-Beschreibungen der politischen und militärischen Ereignisse und nicht zuletzt der unfasslichen Brutalität, die auch vor der Zivilbevölkerung nicht haltgemacht hat, vermittelt der Autor den französischen Algerienkrieg nicht nur als ein historisches Ereignis. Es ist ein Buch über das Wesen des Krieges, so wie es schon Clausewitz (1780-1831) in seinem Buch „Vom Kriege“ beschrieben hat. Krieg ist die Anwendung äußerster, grenzenloser Gewalt. Für die Opfer dieser Gewalt ist es gleichgültig, ob eine Panzer-Granate russisch, deutsch oder englisch beschriftet ist. Das Gebot der ersten Stunde kann daher nur lauten: Waffenstillstand! – Das Gebot der zweiten Stunde: Versöhnung! – Das Gebot der dritten Stunde: Vertrauen! – Das Gebot der vierten Stunde: Wiederaufbau! – Das Gebot der 5. Stunde: Lernen! – Das Gebot der 6. Stunde: Gerechtigkeit! –
Große Führungspersönlichkeiten wie Charles de Gaulle, Mahatma Gandhi, Willi Brandt, Yitzak Rabin und Yassir Arafat wussten um die Wichtigkeit dieser Gebote für einen nachhaltigen Frieden. Sie wurden dafür von Zeitgenossen verschmäht und beschimpft. Man trachtete sogar nach ihrem Leben. Gandhi und Rabin fielen Mordanschlägen durch Landsleute zum Opfer. Ich überlasse es Ihnen, über meine Friedensgebote zu diskutieren und warum Gerechtigkeit nicht an erster Stelle stehen sollte. Wichtig ist allein, dass sich Staatsmänner/Staatsfrauen finden, die den Frieden gewinnen wollen und nicht den Krieg. Woran man sie erkennt? – An ihrem Mut, dem Gegner bedingungslos die Hand zu reichen.