

Discover more from Ulrich’s Newsletter
Deutsche und russische Soldaten feiern 1917 den Waffenstillstand an der Ostfront
Bundesarchiv_Bild_183-S10394,_Verbrüderung_an_der_Ostfront.jpg
Als ich vor einigen Jahren bei einem deutschen Rüstungskonzern wegen eines Führungsseminars vorstellig wurde, lag vor meinem Platz im Besprechungsraum ein Stapel Hochglanzbroschüren auf dem Tisch. In einer Pause blätterte ich ihn durch. Dabei fiel mir ein kerniger Satz zur Selbstvorstellung des Unternehmens auf. Er lautete sinngemäß: Wir haben die Pflicht, friedliebende Länder dieser Welt mit Waffen zu beliefern, die sie nicht selbst herstellen können, damit sie sich gegen aggressive Nachbarn verteidigen können. An diesen Satz musste ich denken, als ich im Radio die Worte unseres Bundeskanzlers hörte, die er im Rahmen einer Rede zum 1. Mai in Düsseldorf sagte. …. Wir werden sie (die Ukraine) unterstützen, dass sie sich verteidigen kann, mit Waffenlieferungen, wie viele andere Länder in Europa das auch machen. –
Wenn ein Rüstungsunternehmen solche Worte zur Image-Pflege benutzt, weist das auf eine schlaue PR-Abteilung hin. Wenn ein Bundeskanzler solche Worte benutzt, weist das nicht nur auf schlaue Sicherheitsberater hin, die ihren Kanzler als starken Mann präsentieren wollen, sondern vor Allem auf Gleichgültigkeit gegenüber menschlichem Leben. Die schweren Waffen, die Deutschland an die Ukraine liefert, werden nämlich nicht nur Russen treffen, sondern auch ukrainische Zivilisten. Das liegt in der Natur der Sache, wenn ukrainische Streitkräfte sich in Städten verschanzen und die russische Armee sie dort bekämpfen will. Für die Rüstungsindustrie zählen solche Argumente nicht. Es muss in ihrem Interesse sein, dass das militärische Hilfsangebot an die ukrainische Regierung noch erweitert wird, bedeutet es doch Aufträge und damit Profit. Wir erleben gerade eine Wiederauflage der für eine Demokratie fatalen Verquickung von politischen und militär-industriellen Interessen, vor denen der frühere US-Präsident Eisenhower in seiner Abschiedsrede am 17. Januar 1961 gewarnt hatte. Vielleicht sollte man einmal die Verantwortlichen mit dem menschlichen Leid, das ihr Denken und Handeln nach sich zieht, konfrontieren.
Politiker der Bundesregierung, von EU und NATO sowie Chefredakteure von Medien, die eine Fortführung des Kampfes der Ukrainer bis zum Endsieg fordern, könnten einen Kampftag lang in ukrainischen Städten als Such- und Rettungspersonal fungieren, das während Gefechtspausen tote, verletzte und weinende Kinder aus den Trümmern ziehen müsste. Sie können sicher sein. Waffenlieferungen an die Ukraine würden sofort eingestellt werden. Es gäbe innerhalb weniger Stunden einen Waffenstillstand und zielführende Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zu einer friedlichen Beilegung des Konflikts.
Nun ist es nicht Usus, dass Politiker und Journalisten sich persönlich um die Opfer des Krieges kümmern, den sie mitverantworten. Wer Letzteres bezweifelt, sei daran erinnert: It takes two to tango. Auf Krieg bezogen: Uns und die anderen. Das gilt nicht nur für das Opfer sein, sondern auch für die Pflicht zum Frieden. - Sie glauben, dass sei pazifistisches Geschwätz? Sie sind der Meinung, dass man Friedensstörer wie Herrn Putin nur mit Gewalt stoppen kann? – Wenn ich Sie nicht über das Gefühl zum Frieden bewegen kann, vielleicht geht es über den Verstand.
Die Denkmethode aus dem Kriegshandwerk, die schon seit langem auch in zivilen Bereichen (einschließlich der Politik) zur Anwendung kommt, nennt man Strategie (Strategia altgriech. =. Feldherrentum). Es ist das methodische Vorgehen, um ein Ziel zu erreichen. Zuerst werde ich Ihnen mit Hilfe einer Grafik eine einfache Definition von Strategie geben. Mit Hilfe dieses Modells soll dann die jeweilige Strategie Russlands, der Ukraine und der USA/NATO abgeleitet werden, um sie auf Rechtmäßigkeit, Ethik und Nützlichkeit (Nachhaltigkeit!) zu bewerten. Ich kann ihnen schon so viel verraten. Keine von ihnen taugt etwas. Es gibt aber noch eine 4. Strategie. Die UN-Strategie. Davon zum Schluss.
Strategie – Grundsätzlich
Abb. 1
Strategie ist der wirkungsvolle Einsatz von Mitteln über einen Plan, um ein Ziel zu erreichen. Sie darf nicht gegen geltendes Recht verstoßen (Recht) und soll dem Geist unserer Moralvorstellungen folgen (Ethik). Ein wichtiger Aspekt ist dabei das Gewissen des einzelnen.
Grand Strategy
Abb. 2
Davon ausgehend, dass die erste Pflicht jeder Regierung die Sicherheit seiner Bürger ist, spricht man von einer alles umfassenden Strategie oder auch Grand Strategy. In den USA wird diese in der National Security Strategy (NSS) durch den jeweiligen Präsidenten zu Beginn seiner Amtszeit dem Kongress vorgelegt. Sie ist Arbeitsanweisung für die Ministerien und Grundlage für den Haushalt. In Deutschland kennen wir keine Grand Strategy. Der Bundeskanzler gibt lediglich Richtlinien seiner Politik heraus.
Militär-Strategie
Abb. 3
Die USA haben eine Militär-Strategie, die National Military Strategy. Sie wird wird auf der Grundlage der Grand-Strategy erstellt und gibt vor, welche Fähigkeiten US-Streitkräfte haben müssen und wofür, wann und wie sie eingesetzt werden sollen. Deutschland hat keine Militär-Strategie. Das Bundesministerium der Verteidigung gibt regelmäßig ein Weißbuch heraus. Es ist ein unverbindliches Kompendium von Lagebeschreibungen, strategischen Bewertungen und Absichtserklärungen, die für andere Ressorts, wie das Finanzministerium, keine Verbindlichkeit haben.
Strategien im Ukraine-Krieg
Russland
Abb. 4
Das Ziel des russischen Einmarsches in die Ukraine ist hinlänglich bekannt. Für Russland ist die von der Ukraine angestrebte und vom Westen unterstützte NATO-Mitgliedschaft eine Bedrohung. Was durch Verhandlungen nicht erreicht werden konnte, der Verzicht der ukrainischen Regierung auf eine NATO-Mitgliedschaft, soll durch militärischen Druck bewirkt werden. Russische Militäroperationen deuten darauf hin, dass die ukrainische Armee als Machtmittel der ukrainischen Regierung ausgeschaltet werden soll. Eine Informationskampagne gegen angebliche neo-nazistische Umtriebe in der Ost-Ukraine soll der Invasion Legitimation verleihen. Sanktionen des Westens begegnet Russland seinerseits mit wirtschaftlichen Kampfmitteln. Die Invasion der Ukraine ist weder rechtlich noch ethisch zu rechtfertigen.
Ukraine
Abb. 5
Zu Beginn der russischen Offensive war das Ziel der ukrainischen Regierung eine Verhandlungslösung, in der russische Interessen berücksichtigt werden sollten (i.e. Neutralität der Ukraine). Eine sehr erfolgreiche Informationskampagne (Information Operations=InfOps) des ukrainischen Präsidenten für die ukrainische Sache und gegen Putin, die zu einer massiven moralischen und dann auch militärischen Unterstützung durch NATO-Länder führte (Waffenlieferungen und Ausbildung) sowie Erfolge bei der militärischen Verteidigung veranlassten die ukrainische Regierung, ihr strategisches Ziel zu ändern. Man will den Endsieg und bis zur Kapitulation der russischen Streitkräfte weiterkämpfen. Die ukrainische Strategie ist zwar durch den Selbstverteidigungsparagraph der UN-Charta gedeckt, verstößt jedoch gegen die Menschenrechtskonvention, in der jedem Menschen das Recht auf Leben zugesprochen wird. Das Weiterkämpfen würde hauptsächlich in Städten stattfinden und noch mehr zivile Opfer kosten. Es ist davon auszugehen, dass bei einer Verlängerung des Krieges trotz Waffenlieferungen des Westens die russische Seite den längeren Atem hätte. Der politische Wille von Herrn Putin, dessen Rückhalt in der russischen Bevölkerung und nicht zuletzt die Ressourcen-Überlegenheit Russlands lassen keinen anderen Schluss zu. Die Strategie der Ukraine wird nicht zum Ziel führen und würde noch mehr Menschenleben kosten. Sie ist unethisch.
USA/NATO
Abb. 6
Das Ziel der Strategie von USA und NATO-Ländern ist der Abzug der russischen Streitkräfte aus der Ukraine. Der wird nur dann passieren, wenn Russland militärisch kapituliert. Bei der Erreichung dieses Zieles setzt der Westen auf Krieg. Die ukrainischen Streitkräfte werden massiv militärisch aufgerüstet und ausgebildet. Sanktionen von ungeheurer Tragweite für die Weltwirtschaft sollen Russland für seinen Angriffskrieg bestrafen. Dabei wird keine Rücksicht auf den Schaden für die eigene Wirtschaft und die eigenen Bevölkerungen genommen. Berichterstattungen und Politiker-Reden laufen im Kriegsmodus (InfOps). Die Menschen sollen glauben, dass es ein Kampf Gut gegen Böse ist, der nur auf dem Schlachtfeld entschieden werden kann. Juristen werden diese Strategie als rechtmäßig erklären können. Ethisch ist sie nicht zu rechtfertigen. Sie verlängert den Krieg. Noch mehr Menschen werden sterben. Die Ukraine kann diesen Krieg nicht gewinnen (Gründe: Siehe Ukraine-Strategie). Irgendwann einmal werden die Konfliktparteien verhandeln und sich auf einen Kompromiss einigen. Da stellt sich mir die Frage: Wer hat ein Interesse daran, dass der Krieg weitergeht? – Über die politischen Ziele von Herrn Zelensky, der ja ein Land im Bürgerkrieg übernommen hat und im eigenen Volk nicht unumstritten ist, soll hier nicht spekuliert werden. Bei wem man ein Interesse erkennen kann, ist bei den USA. Wenn man dieses Interesse in Strategieform gießt, könnte sie so aussehen.
Verdeckte US-Strategie
Abb. 7
Es ist in Fachkreisen unumstritten, dass die US-Regierung Russland und China als globale Macht-Konkurrenten ansieht. Im Pentagon ist man sogar noch direkter. Diese beiden Länder werden als Bedrohung für die USA angesehen. Ziel amerikanischer Sicherheits- und Außenpolitik muss daher sein, diese global zu isolieren. „Containment“ ist der Fachbegriff. Dabei werden alle Mittel unterhalb einer direkten bewaffneten Konfrontation eingesetzt. Putins Aggressionen gegen die Ukraine (Annektierung der Krim, militärische Unterstützung der Autonomie-Bewegung im Donbas und jetzt die Invasion) sind „Steilvorlagen“ für die US-Strategie des „Containments“. Durch die Bewaffnung und Ausbildung der ukrainischen Streitkräfte, der Intensivierung von Wirtschaftssanktionen und eine gezielte Anti-Putin Kampagne treibt sie Russland und die Ukraine gleichermaßen noch weiter in den Krieg. Je länger er dauert, desto mehr schadet er Putin, desto besser für Amerika. Warum machen wir Europäer mit? – Ethik kann es nicht sein. Der Krieg wird noch mehr Menschen umbringen und noch mehr Städte zerstören. - Materielle Vorteile? – Die Sanktionen treffen unsere Wirtschaften und Bevölkerungen mindestens genauso hart wie die Russlands, wenn nicht härter. Bleibt als letztes Motiv Bündnistreue. Nach 20 Jahren Töten und Sterben in Afghanistan im Interesse unseres „großen Bruders“ mag man kaum glauben, dass es schon wieder so weit ist. – Wenn wir es ernst meinen mit unserer Ethik und unserer Lernfähigkeit aus der Geschichte, dann sollten wir uns von einer falschen Bündnistreue lösen. Dann darf es nur eine Strategie geben, diesen Konflikt zu lösen. Sie allein ist rechtmäßig, ethisch und nachhaltig. Ich nenne sie die UN-Strategie.
UN – Strategie
Abb. 8
Es war genau diese Strategie, die nach drei großen Kriegen mit Millionen von Toten die deutsch-französische Feindschaft beendet hat. Wir sollten dafür sorgen, dass sie jetzt in der Ukraine eine Wiedergeburt erfährt.