Der Ukrainekrieg - Sie haben ja keine Ahnung
„Wenige Menschen denken, und doch wollen alle entscheiden.“ – Friedrich der Große
„Sie haben ja keine Ahnung“! – Dieser Satz wurde in diesen Tagen immer wieder von dem prominenten Bundeswehrgeneral a.D. Heinz Kujat seinen Diskussionsgegnern vorgehalten, wenn die meinten zu wissen, was militärisch zu tun sei, um die Russen im Ukrainekrieg zu besiegen und damit „den Bösewicht“ Putin in seinem „Großmachtwahn“ zu stoppen. Zuerst war es der deutsche Leopardpanzer, der die ukrainische Sommeroffensive zum Sieg verhelfen sollte. Als die scheiterte, suchte man nach einer neuen Wunderwaffe. Jetzt ist es die deutsche Cruise Missile „TAURUS“, die das Wunder vollbringen soll. In Politik, beim Militär, in den Medien und a den Stammtischen wird jetzt „Targeting“ diskutiert. Wenn man mit dem „TAURUS“ die „richtigen“ Ziele in Russland angreifen würde, wäre das der „Matchwinner“. Die Menschen-Geißel Krieg ist zu einem Computer-Spiel, zu einer Reality-Show mutiert, in dem es gilt, der „guten“ Seite durch Einzelaktionen zum Sieg zu verhelfen. Und alle machen sie mit. Das Beschwören von Moral und Recht und die konstruierte Angst vor einem gefährlichen Russland reichen aus, um eigenes kritisches Denken auszuschalten.
Kujats Ausspruch ist natürlich ein KO-Satz in jeder Diskussion. Ich glaube nicht, dass er als solcher so gemeint war. Er bezog sich nicht in erster Linie auf die Unwissenheit über Waffenwirkungen und den Auswirkungen eines solchen Einsatzes, sondern war vielmehr Ausdruck von Verzweiflung darüber, dass der Mainstream bei uns das Wesen des Krieges nicht versteht. Das hat sich nämlich seit Beginn der Geschichtsschreibung durch Herodot nicht geändert. Es ging und geht immer nur um Interessen von Staaten.
Einer der prominentesten „Realists“ unter den Politikwissenschaftlern und einstiger Berater von US-Regierungen, Hans-Joachim Morgenthau, schrieb dazu sinngemäß in seinem berühmten Werk „Politics among Nations“, dass Moral, Ethik und Recht nie ein Interesse selbst sein können und dürfen. Ein Interesse, das von einer Regierung als lebenswichtig gehalten wird, verlangt den Einsatz aller Machtmittel einschließlich militärischer, um sein Bestehen und damit die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten. Das gilt für alle Staaten dieser Welt, gleichgültig, welches politische System sie regieren. In Sinne dieser legitimen Interessenverfolgung eines Staates war Morgenthau ein erbitterter Gegner des Vietnamkrieges.
Das erklärte politische Ziel der US-Regierung war damals ein demokratisches, kommunistenfreies Südvietnam. Am Ende waren 4 Millionen Opfer zu beklagen, davon 58 000 Amerikaner. In den Pariser Verhandlungen mit dem Gegner, der kommunistischen Führung Nordvietnams, ging es dann den USA nur noch darum, unter Gesichtswahrung sich aus dem Krieg zu lösen. Er wäre vermeidbar gewesen, wenn man sich von Anfang um einen ehrlichen Interessenausgleich bemüht hätte. Vietnam befand sich in einem Bürgerkrieg mit den unterschiedlichsten Interessen. Die Gegner: Die geschichtlich etablierten Machthaber der Mandarine, das Militär, die Mönche, ethnische Gruppen und vor allem die Revolutionäre, die den Kommunismus als den einzigen Weg zu mehr Gerechtigkeit für die Millionen von Armen im Land ansahen. Der „Realist“ Morgenthau war kein Pazifist. Ihm ging es allein um Ehrlichkeit bei der eigenen Interessenformulierung. Die Verbreitung von Demokratie und Menschenrechten dürfen für ihn kein vitales Interesse eines Staates sein, weil sie die regionalen Interessen, die geschichtlich und kulturell gewachsen sind, ignorieren. Moral, Ethik und Recht sind Werte, die den eigenen Interessen nur in der Selbstbezüglichkeit dienen können. Wenn diese Einsicht endlich greifen würde, Kriege wie jetzt in der Ukraine wären zu verhindern gewesen und könnten ihn morgen beenden.
Wer andere Staaten dazu bewegen will, im Sinne der eigenen vitalen Interessen diese zu übernehmen und zu beachten, der hält sich zuallererst selbst daran. Im Sinne dieser universellen Forderung sind Amerikaner und Europäer „Hypokrits“ (Heuchler). Die Opfer westlicher militärischer Gewalt (Afghanistan, Libyen, Irak, Syrien, Drohnenkrieg, Folter in Guantanamo Bay, Migrationswellen über das Mittelmeer und jetzt in der Ukraine) klagen an.
Der preußische General Clausewitz schrieb in seinem universellen Werk „Vom Kriege“, dass Krieg immer nur einem politischen Zweck dient. Krieg ist keine militärische Duell-Situation zwischen guten und bösen Staaten, in der es um moralische und rechtliche Positionen geht. Er ist in seiner Natur die Entfesselung grenzenloser physischer Gewalt, die Menschen umbringt und in grenzenloses Leiden stürzt. Er dient eben nicht den Interessen von Staaten und schon gar nicht Moral, Ethik und Recht. Das ist das Wesen des Krieges. In diesem Sinne ist der Kujat-Vorwurf an die Kriegsbefürworter zu verstehen. „Sie haben ja keine Ahnung!“